Fokusanalyse

Wirtschaftspartner Russland und Türkei

Noch im Februar will Russlands Präsident Wladimir Putin seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei treffen. Es wäre die erste Reise Putins in ein NATO-Land seit Januar 2020, als Putin Deutschland besuchte. Schwerpunkt der Gespräche mit Erdoğan sollen die russisch-türkischen Beziehungen und insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit sein, erklärte Kremlsprecher Dmitrij Peskow. Medienberichten zufolge ist das Treffen für den 12. Februar geplant, was der Kreml bisher nicht bestätigte.

Im vergangenen Jahr tauschte die Türkei Waren im Wert von 56,5 Mrd. US-Dollar mit Russland aus, belegt das türkische Statistikamt TÜIK. 2022 waren es noch 68,1 Mrd. Dollar. Trotz des Rückgangs um 17% blieb Russland größter Handelspartner der Türkei, noch vor Deutschland mit 49,8 Mrd. Dollar (2022: 45,1 Mrd.). Auf den Handel mit der Europäische Union insgesamt entfielen 210 Mrd. Dollar, was mehr als ein Drittel des türkischen Außenhandels ausmachte.

Importe aus Russland rückläufig
Die türkischen Importe aus Russland haben sich 2022 im Vergleich zum Vorjahr auf den Rekordwert von 58,9 Mrd. Dollar mehr als verdoppelt. Grund dafür waren die hohen Rohstoffpreise. Im vergangenen Jahr gingen die Importe auf 45,6 Mrd. Dollar zurück, und auch der Anteil Russlands an den türkischen Importpartnern fiel mit 12,6% beinahe auf den Wert von 2019 zurück, als er 11% betrug. Zur Zusammensetzung der Importe aus Russland macht das türkische Statistikamt keine Angaben. Laut dem finnischen Thinktank CREA dürften rund zwei Drittel der Importe auf Rohstoffe entfallen. Den Gesamtwert der russischen Rohstofflieferungen in die Türkei schätzen die Analysten für das Jahr 2023 einschließlich Januar 2024 auf 36,5 Mrd. Dollar, wovon 24,6 Mrd. auf Erdöl, 8,8 Mrd. auf Erdgas und 2,9 Mrd. auf Kohle entfielen.
Der Anteil der Rubel-Zahlungen für die Importe aus Russland wächst, allerdings auf niedrigem Niveau. 2021 betrug das Volumen der Rubel-Zahlungen 68,4 Mio. Dollar, 2022 schon 218,7 Mio. und im vergangenen Jahr 474,3 Mio. Dollar, also rund 1% der Importe aus Russland insgesamt.

Mehr Exporte nach Russland
Die türkischen Exporte nach Russland legten vor allem 2022 um mehr als 60% zu und erreichten ein Volumen von 9,3 Mrd. Dollar. Im vergangenen Jahr stiegen sie um weitere 17% auf 10,9 Mrd. Dollar. Noch stärker entwickelten sich die türkischen Ausfuhren 2023 in zwei andere Länder: nach Saudi-Arabien von 1 Mrd. auf 2,6 Mrd. Dollar und in die Vereinigten Arabischen Emirate von 5,3 Mrd. auf 8,6 Mrd. Dollar. Der Anteil der Ausfuhren nach Russland an den türkischen Exporten insgesamt stieg seit 2021 von 2,6% auf 4,3%. Mit 21,1 Mrd. Dollar gingen die mit Abstand meisten Exporte der Türkei nach Deutschland.

Für Russland ist die Türkei mittlerweile das zweitwichtigste Herkunftsland seiner Importe, gleichauf mit Belarus. Von Januar bis August 2023 hatten beide einen Anteil von je 7% an den russischen Einfuhren, errechneten Analysten der russischen Bank Tochka. Mehr lieferte nur China mit einem Anteil von 40%. Im gleichen Zeitraum 2021 waren die drei größten Herkunftsländer China (20%), Deutschland (11%) und Österreich (6%).
Türkei liefert Maschinen und Früchte
Das wichtigste türkische Exportgut sind Fahrzeuge. Ihre Ausfuhren summierten sich 2023 weltweit auf 30,9 Mrd. Dollar. Bei den Exporten nach Russland spielen sie allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Laut UN-Handelsdaten beliefen sie sich 2022 auf 488 Mio. Dollar. Bedeutender waren die Ausfuhren nach Russland von Elektronik (559 Mio. Dollar), Kunststoffen (643 Mio. Dollar), Früchten (1,1 Mrd. Dollar) und Maschinen (1,6 Mrd. Dollar).

Nicht von der Statistik erfasst wird, wie hoch der Anteil der Grauimporte an den Türkei-Lieferungen ist. Unter den russischen Gesamtimporten 2023 in Höhe von 300 Mrd. Dollar waren etwa 17% sogenannte Parallelimporte, wie Äußerungen von Vizepremier Andrej Beloussow schließen lassen. Beobachter vermuten, dass die Türkei ein bevorzugtes Transitland für diese Art von Importe nach Russland ist.

Stark gestiegen sind seit dem Frühjahr 2022 die türkischen Ausfuhren von Dual-Use-Gütern, insbesondere Elektronik, nach Russland, schreibt die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Forbes. Davor hatte die Türkei solche Waren im Wert von 1-4 Mio. Dollar pro Monat geliefert, danach waren es 8-16 Mio. Dollar. Seit vergangenem Herbst sei jedoch ein Rückgang der Dual-Use-Exporte nach Russland zu beobachten, stellte Forbes fest und erklärte dies mit dem Druck der US-Regierung. Die Angst vor US-Sanktionen dürfte auch der Grund für die zunehmenden Probleme sein, die russische Unternehmen seit Ende 2023 in ihrer Zusammenarbeit mit türkischen Banken melden.

Spitzenreiter im Türkei-Tourismus
Russische Touristen stellten im vergangenen Jahr mit 6,3 Mio. Einreisen wieder die zahlenmäßig größte Gruppe unter den Ausländern und überholten die Deutschen, die 2022 mit 5,7 Mio. Besuchern noch vor den Russen mit 5,2 Mio. Besuchern gelegen hatten. Insgesamt besuchten 49,2 Mio. Ausländer die Türkei, dazu kamen noch 7,7 Mio. Touristen mit türkischem Pass. Russlands Anteil an den ausländischen Besuchern stieg zwar gegenüber 2022 von 11,7% auf 12,8%, blieb aber unter den Werten früherer Jahre. So bewegte er sich von 2019 bis 2021 zwischen 15,6% und 19%. Die Gesamteinnahmen der Türkei aus dem Tourismus beliefen sich im vergangenen Jahr auf 54,3 Mrd. Dollar.
Atomkraft-Partner auf Jahrzehnte
Die Türkei hat im Jahr 2010 dem russischen Staatskonzern Rosatom Bau und Betrieb des ersten Atomkraftwerks (AKW) des Landes anvertraut. Die vier Blöcke des AKW Akkuyu in der südlichen Provinz Mersin sollen mit einer Leistung von 4,8 GW 10% des türkischen Strombedarfs abdecken. Derzeit arbeiten fast 30.000 Menschen auf der größten AKW-Baustelle der Welt, so der Betreiber. Die Inbetriebnahme des ersten Blocks ist für Mitte 2025 geplant. Betreiber des AKW wird eine türkische Tochtergesellschaft von Rosatom sein, in deren Mehrheitsbesitz das Kraftwerk auch nach seiner Fertigstellung bleibt. Das damit beschriebene Betreibermodell „Build-Own-Operate“ wird weltweit zum ersten Mal bei einem AKW angewandt. Der Kunde kauft kein Kraftwerk, sondern Strom, wie Rosatom-Chef Alexej Lichatschow das Modell erklärt. Die Baukosten für Akkuyu wurden zu Beginn der Planung auf 20 Mrd. US-Dollar geschätzt. Sein Betrieb dürfte Rosatom jährliche Einnahmen von 4,3 Mrd. Dollar einbringen, so eine Expertenschätzung von Mitte 2023. Das Unternehmen ist auch verantwortlich für den Abbau des AKW nach dem Ende seiner Laufzeit, die Rosatom mit 60 Jahre angibt, wobei es eine Option auf weitere 20 Jahre gibt.

Russland setzt darauf, dass das AKW Akkuyu nicht das einzige gemeinsame Kernenergie-Projekt beider Länder bleibt. So schlug Vizepremier Alexander Nowak vor einigen Wochen den Bau mehrerer kleinerer AKW in der Türkei vor. Außerdem hofft Rosatom auf den Auftrag zum Bau des AKW Sinop, einem weiteren Megaprojekt mit vier Kraftwerksblöcken, das an der türkischen Schwarzmeerküste entstehen soll.

Gas-Abhängigkeit und Gas-Hub
Das zweite große Projekt, das beide Länder verbindet, ist die Erdgaspipeline TurkStream durch das Schwarze Meer. Ihre beiden Stränge versorgen seit 2020 die Türkei und Südosteuropa mit russischem Gas. Dennoch verringerte die Türkei in den vergangenen Jahren ihre Abhängigkeit von russischem Erdgas. Sein Anteil am türkischen Verbrauch sank von einst bis zu 60% auf 45% im Jahr 2021 und auf 40% im Jahr 2022. 2023 ging der Anteil weiter zurück auf 36-37%, schrieb die staatliche Nachrichtenagentur TASS im Herbst unter Verweis auf türkische Medien.

Ende 2022 schlug Wladimir Putin den Aufbau eines Verteilerzentrums für Erdgas in der Türkei vor. Bei ihrem letzten Treffen im September 2023 im russischen Sotschi bekräftigen die beiden Staatschefs ihre Absicht, einen Gas-Hub für die Versorgung Europas zu errichten. Der Knotenpunkt würde nicht nur von Russland beliefert. Laut dem türkischen Energieminister Fatih Dönmez

verhandelt sein Land bereits mit anderen Produzenten wie Aserbaidschan und dem Iran. Dennoch ist die Zukunft des Projekts noch ungewiss. Neben rechtlichen Fragen, die die türkische Seite einräumt, bestehen auch Zweifel an der genügenden Gas-Nachfrage seitens der Europäer, urteilte ein Analyst des russischen Verbands der Öl- und Gasdienstleister NANGS Ende des vergangenen Jahres.

Quellen: TÜIK 1, 2, Trading Economics, CREA, Energy Monitor (alle EN), RBC, Vedomosti 1, 2, 3, 4, 5, Izvestia, Forbes, TASS 1, 2, 3, Reportjor, NANGS (alle RU)