Fokusanalyse

Steueränderungen in Russland

Russischen Unternehmen und Bürgern stehen Steueränderungen bevor. Sie könnten am 1. Januar 2025 wirksam werden, wenn die Staatsduma, das Unterhaus des russischen Parlaments, bis zum 5. August für entsprechende Vorschläge des Finanzministeriums abstimmt.

Im Unternehmensbereich sind folgende Neuerungen am wichtigsten:

  • Die Unternehmensgewinnsteuer soll von derzeit 20% auf 25% erhöht werden. Ausfuhrzölle in Höhe von 4–7% für Exporteure in mehreren Branchen sowie 10% für Düngemittelhersteller, die seit dem 1. Oktober 2023 bei einem Umtauschkurs von über 80 Rubel je US-Dollar erhoben werden, könnten ab 2025 abgeschafft werden.

  • Unternehmen „mit hohen Renditen und tiefen Investitionsquoten“ sähen sich mit höheren Steuern auf Rohstoffgewinnung konfrontiert: Für Düngerhersteller stiegen sie ums zwei- bis 2,3-fache, für Eisenerzförderer um 15%.

  • Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz ab 60 Mio. Rubel (611.000 Euro) müssten Umsatzsteuern zahlen, auch wenn sie das vereinfachte Besteuerungssystem (USN) anwenden.

  • USN, das aktuell auch von Gewinn- und Vermögenssteuern befreit, soll einem breiteren Kreis von Mittelständlern zugänglich gemacht werden, indem kleinen Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 265,8 und 450 Mio. Rubel (2,7–4,6 Millionen Euro) gestattet werden soll, darauf umzustellen.

  • KMU, die im verarbeitenden Gewerbe tätig sind und keine verbrauchssteuerpflichtigen Waren herstellen, dürfen sich auf einen besonders niedrigen Beitragssatz in der Sozial-versicherung freuen: 7,6% der ausbezahlten Mitarbeitergehälter anstatt der derzeitigen 15%, die für den Teil über dem gesetzlichen monatlichen Mindestgehalt in Höhe von 19.242 Rubel (196 Euro) gelten.

  • Das Finanzministerium plant zudem eine „Steueramnestie“, die denjenigen Unternehmen aus der Haftung entlassen soll, die sich 2022–24 künstlich in mehrere Körperschaften aufgeteilt haben, um sich Steuervergünstigungen zunutze zu machen, und die 2025–26 auf diese Steuersparmethode verzichten.
Progressive Steuersätze
Die Einkommensbesteuerung möchte der Fiskus stärker progressiv ausgestalten. Seit 2021 wird das Einkommen der mehr als fünf Mio. Rubel (51.000 Euro) jährlich verdienenden Russen mit 15% besteuert, während der Rest der Bürger wie früher den regulären Steuersatz von 13% zahlt.

Ab 2025 könnten stattdessen fünf Progressionsstufen gelten:

  • 13% bei einem Jahresbruttoeinkommen bis zu 2,4 Mio. Rubel (24.000 Euro);

  • 15% bei einem Jahresbruttoeinkommen zwischen 2,4 und 5 Mio. Rubel (24.000 – 51.000 Euro);

  • 18% für die Steuerzahler, die pro Jahr brutto zwischen 5 und 20 Mio. Rubel (51.000 – 204.000 Euro) verdienen;

  • 20% für diejenigen, die zwischen 20 und 50 Mio. Rubel (204.000 – 509.000 Euro) verdienen;

  • 22% für diejenigen, die mehr als 50 Mio. Rubel (509.000 Euro) verdienen.
Die erhöhten Steuersätze sollen nur für die Teile des Einkommens gelten, die über der entsprechenden Schwelle liegen. Wenn ein Bürger beispielsweise im Jahr brutto 10 Mio. Rubel (102.000 Euro) verdient, würden 2,4 Mio. Rubel (24.000 Euro) mit 13%, 2,6 Mio. (26.000 Euro) mit 15% und die restlichen 5 Mio. (51.000 Euro) mit 18% besteuert werden. Insgesamt würde er also Steuern in Höhe von 1.602.000 Rubel (16.000 Euro) auf sein Einkommen zahlen. Im aktuellen System entrichtet ein solcher Bürger 1.400.000 Rubel (14.000 Euro) Einkommenssteuer.

Das Finanzministerium hat berechnet, dass die Einführung dieser progressiven Steuerskala sich anfangs auf die Nettoeinkommen von ca. zwei Millionen Bürgern, oder 3,2% der russischen Erwerbsbevölkerung, auswirken werde. Bei hoher Inflation (zurzeit 8,1–8,2% im Jahresvergleich sowie 4,0–5,5% im Zeitraum 2024–26 laut jüngster Zentralbank-Umfrage) und einer historisch tiefen Arbeitslosenquote von nur 2,7% im März darf aber erwartet werden, dass die Nominallöhne und -gehälter mittelfristig erheblich steigen werden. Die für Besteuerungszwecke festzusetzenden Einkommensgrenzen dürften aber einige Jahre konstant bleiben. Das bedeutet, dass die Zahl und der Anteil der von der kommenden Steuerprogression Betroffenen jedes Jahr wachsen würden.
Fünf Einkommenssteuersätze einzuführen, wäre übertrieben, so die Haltung des Vorsitzenden des Industriellen- und Unternehmerverbandes (RSPP) Alexander Schochin. Fünf Steuerstufen mit einem Spitzensatz von 22% würde die Verwaltung verkomplizieren, Spitzenverdiener in die Schattenwirtschaft drängen und die Steuerbasis erodieren lassen, mahnt Schochin. Als „vernünftigen Kompromiss“ schlägt der RSPP-Chef vor, die Zahl der Steuerstufen zu verringern und die Obergrenze bei 18% festzusetzen. Beim Einkommen von bis zu fünf Mio. Rubel pro Jahr könnte weiter der 13% Satz gelten und Jahreseinkommen zwischen fünf und 50 Mio. Rubel könnten mit 15% besteuert werden, so Schochin.

Laut Finanzminister Siluanow sei es unwahrscheinlich, dass die anvisierte Erhöhung der Einkommenssteuern zu Hinterziehung führen werde. Sein Stellvertreter Alexej Sasanow lehnte Schochins Vorschlag mit den Worten ab: „Eine höhere Steuer für Reiche ist eine seit langem bestehende Forderung der Öffentlichkeit, die den Grundsätzen der Steuergerechtigkeit entspricht. Obwohl Abgeordnete und Bürgerrechtler bei der Diskussion der Steuerparameter eine stärkere Erhöhung der Einkommensteuer für Reiche empfahlen, haben wir eine ausgewogene Lösung von 22% vorgeschlagen.“ Ein solcher Spitzensteuersatz, der im weltweiten Vergleich „nicht so hoch“ sei, schränke die Tätigkeits- und Einkunftsmöglichkeiten von Topverdienern nicht ein, kommentierte Sasanow.

Steuerprogression im Rückblick
In der Geschichte Russlands gab es lange Perioden, als progressive Einkommenssteuertarife angewendet wurden, so zwischen 1812, als unter dem Zaren Alexander I. erstmals eine Steuerprogression eingeführt wurde, und der Oktoberrevolution 1917. Die Steuersätze variierten damals zwischen 1% und 10%. 1926 kehrte die Sowjetunion zu einem progressiven Besteuerungs-system zurück: Es wurden differenzierte Steuersätze für Fabrikarbeiter und Bedienstete (2,2%), Handwerker (9,1%) und Nichtberufstätige (10,8%) eingeführt. Zwischen den 1930er und den 1980er Jahren galten unterschiedliche Einkommenssteuerfreibeträge mit bis zu sechs Steuerstufen. 1984 wurde der maximale Einkommenssteuersatz von 13% auf 10,6% gesenkt.

Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war das Besteuerungssystem in Russland zunächst progressiv. Vor der Einführung der 13% Einheitssteuer am 1. Januar 2001 unter dem neuen Präsidenten Wladimir Putin hatte sich der dreistufige Einkommenssteuertarif zwischen 13% und 30% bewegt. Nach dem Übergang zur Flat Tax gewann die Steuereintreibung deutlich an Effizienz. Die Reduktion der effektiven Steuerquote ließ viele Steuerzahler die Schattenwirtschaft verlassen und die Einnahmen des Staates steigen. Ein weiterer Innovationsschub erfolgte ab 2010, als der heutige Ministerpräsident Michail Mischustin Chef des Föderalen Steuerdienstes wurde. Unter ihm trieb die Behörde die Digitalisierung des Rechnungs- und Steuerwesens entschlossen voran. Dank einer nutzerfreundlichen Gestaltung der Vorgänge gelang es, sie zu beschleunigen und zu vereinfachen und viele verbleibende Ineffizienzen in der Steuerverwaltung zu beseitigen.

Prognosen zur Steuererhöhung
Die meisten Experten gehen davon aus, dass die verbesserte Administration der Steuererhebung die vom Finanzministerium angepeilten Änderungen meist nahtlos in die Tat umsetzen lassen dürfte. Ihre Wirkung auf das künftige Wirtschaftswachstum könnte aber insgesamt negativ sein, gibt etwa Anton Prokudin, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Ingosstrach-Investizii zu bedenken. Er beziffert mögliche jährliche Verluste auf mindestens 0,7% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und warnt, dass sie höher ausfallen könnten, wenn der Fiskus nicht alle zusätzlichen Einnahmen in die Wirtschaft pumpt, sondern sie nutzt, um das Haushaltsdefizit zu decken.
Sofja Donez vom Finanzvermittler Tinkoff Investizii nimmt an, dass der Staat die Mehreinnahmen vor allem zur Haushaltsstabilisierung verwenden werde. Dass die staatlichen Ausgaben 2025 in gleich hohem Tempo wie in diesem Jahr aufgestockt würden, sei unwahrscheinlich. Die Unternehmen könnten im nächsten Jahr zusätzlich 1,6 Bio. Rubel (16 Mrd. Euro) an Gewinnsteuern zahlen. Das werde Margen schmälern und viele Investitionsabsichten durchstreichen. Die Löhne könnten nicht so rasch erhöht und Prämien nicht großzügig ausgezahlt werden wie dies zuletzt vielerorts der Fall gewesen sei. Der BIP-Beitrag der angekündigten steuerlichen Anpassungen werde also im besten Fall neutral, möglicherweise leicht negativ sein, schlussfolgert die Expertin. Ein weniger starkes Wachstum der Löhne wäre aber positiv für die Dynamik der Verbraucherpreise.

Ein solcher Inflationsdämpfer wäre in der Tat vonnöten. Denn die Erhöhung der Einkommenssteuer werde mit Steuerrückerstattungen für einkommensschwache, aber kinderreiche Familien einhergehen, kommentiert Makroanalyst Dmitrij Beloussow vom Moskauer Wirtschaftsinstitut ZMAKP. Ihre Cashbacks dürften den Konsum ankurbeln und inflationstreibend wirken. Unter dem Strich rechnet der Volkswirt aber damit, dass die Steuererhöhungen das Preiswachstum etwas bremsen würden, weil sie den Haushalt ausgleichen und die Marktteilnehmer dementsprechend weniger Inflation erwarten ließen.

Die anstehenden Steuererhöhungen würden dazu beitragen, das durch den wachsenden Militäretat entstandene Budgetloch zu stopfen, aber sie würden nicht das Ausmaß der fiskalischen Straffung erreichen, das notwendig sei, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern, geben die Volkswirte Liam Peach und Nicholas Farr vom Wirtschafts-Thinktank Capital Economics in London zu bedenken. „Wir hatten erwartet, dass nach den Präsidentschaftswahlen Steuererhöhungen angekündigt werden würden, und dies ist einer der Gründe, warum wir für 2025 eine Stabilisierung des Haushaltsdefizits und ein langsameres BIP-Wachstum prognostiziert haben“, so die Analysten. „Die Steuererhöhungen sind jedoch bescheiden im Vergleich zum Umfang der Militär- und Verteidigungsausgaben, die 6% des BIP betragen und weiter steigen. Der allgemeine finanzpolitische Kurs bleibt expansiv und wird sich wahrscheinlich fortsetzen, solange die Kriegsanstrengungen andauern. Dies wird die Bemühungen der Zentralbank zur Inflationsbekämpfung in Frage stellen, die Anleiherenditen hoch halten und weitere Zinserhöhungen erforderlich machen.“

Quellen: RBC 1, 2, 3, RSPP, Russ. Regierung, Kremlin, Finanzministerium, Zentralbank RF, Interfax, PNP (alle RU), Capital Economics (EN)