Fokusanalyse

IT-Lokalisierung in Russland

Firmen, die für mindestens 50% der russischen Wirtschaft stehen, nutzen weiter ausländische Software. Das zeigt die Umfrage, die der russische Systemintegrator K2Tech unter 116 russischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 10 Mrd. Rubel, umgerechnet 104 Mio. Euro, kürzlich durchführte. 68% der Unternehmen versuchen demzufolge auf einheimische IT-Produkte umzustellen, gelungen ist die Umstellung aber nur zu 10% bis 50%. Die meisten Unternehmen, die Software im Ausland nutzen und beschaffen, lassen sie durch lokale Servicepartner warten oder tun dies auf eigene Faust, heißt es in der K2Tech-Studie weiter. 18% setzen auf Parallelimporte. Anbieter-Unterstützung bekommen nur noch 14% der Firmen.

Die Möglichkeiten, ausländische Software durch russische Analoga zu ersetzen, erweiterten sich, so Igor Seldez, stellvertretender Geschäftsführer von K2Tech. Allein die Zahl der Einträge im russischen Softwareregister sei seit dem Exodus westlicher Anbieter im Frühjahr 2022 um 60% gewachsen. Die meisten dieser Produkte seien in Bezug auf Funktionalität und Zuverlässigkeit den „Weltmarktführern noch unterlegen“, räumt Seldez ein. Laut Seldez sei es nur eine Frage der Zeit, bis die russischen Firmen die Qualitätslücke schließen. Dass viele Unternehmen nicht so schnell auf russische IT-Lösungen umstellen, wie sich russische Entwickler wünschen, dürfte daran liegen, dass Software-Migration ein komplexer Prozess ist. Dabei sei eine sorgfältige Prüfung erforderlich, ob die zu integrierenden Produkte mit den bestehenden kompatibel seien, so Seldez.

Der russische Regierungschef Michail Mischustin hatte im Juni 2022 die Einrichtung von 35 „industriellen Kompetenzzentren“ gefordert, die festlegen sollten, welche Software-Typen und für welche Anwendungsgebiete im Inland entwickelt werden sollen. Insgesamt sind im Rahmen dieses Programms knapp 300 Projekte im Wert von mehr als 200 Mrd. Rubel (2,1 Mrd. Euro) auf den Weg gebracht worden. Ein Teil dieser Summe wird aus dem föderalen Haushalt finanziert. Es handelt sich vor allem um Anwendungen in den Bereichen ERP (enterprise resource planning, Unternehmens-Ressourcen-Planung), MES (manufacturing execution systems, Fertigungssteuerungssysteme), PLM (product lifecycle management, Produktlebenszyklusmanagement), CAE (computer-aided engineering, rechnergestützte Entwicklung) und CAD (computer-aided design, rechnergestütztes Konstruieren).

Zumindest bei ERP, einem Bereich, in dem der deutsche Softwaregigant SAP Marktführer ist, sind noch viele russische Großunternehmen auf SAP-Software angewiesen. Das gestanden vergangene Woche gleich mehrere Spitzenmanager auf der Leitkonferenz CIPR in Nischni Nowgorod ein. Laut Sergej Kogogin, CEO des führenden russischen Lkw-Herstellers KAMAZ, eigneten sich vorhandene russische ERP-Produkte nicht dazu, „die hochkomplexen Prozesse im Betrieb“ angemessen zu unterstützen. Den russischen Anbietern fehle es an Branchenexpertise, daher setzten die russischen Kfz-Hersteller vermehrt auf eigenentwickelte Software, so Kogogin.

Alexej Mordaschow, Vorstandsvorsitzender des Metallurgiekonzerns Severstal, stimmte dem KAMAZ-Chef zu. „Wir teilen vollkommen die Besorgnis über die Schaffung eines spezialisierten ERP‑Systems, wir sehen verschiedene Versuche und diverse Projekte in Russland, aber wir glauben, dass es noch kein System gibt, dessen Qualität die Bedürfnisse anspruchsvoller Industriekunden erfüllen und SAP in Bezug auf die Funktionalität ersetzen könnte,“ sagte er.

Severstal und der russische Petrochemie-Riese Sibur hätten sich vor kurzem zur Aufgabe gemacht, binnen fünf Jahren einen funktionierenden Ersatz für die ERP-Lösungen von SAP zu schaffen, so Mordaschow weiter. Diesem Vorhaben könnten sich demnächst auch andere russische Konzerne anschließen. Dafür müssten sie Milliarden US-Dollar investieren. Es gäbe aber keine andere Wahl, denn SAP habe den Service eingestellt und seine bei den russischen Kunden installierten Anwendungen könnten nicht mehr auf den neuesten Stand gebracht werden.

Quellen: K2Tech, Russ. Regierung, Vedomosti, RBC (alle RU)