Fokusanalyse

Dynamik des russischen Onlinehandels 2023

2023 verzeichnete der russische Onlinehandel ein Wachstum von 40% auf 82 Mrd. Euro. Die Handelsplattformen Wildberries und Ozon dominierten mit einem Marktanteil von 80%. Die Regionen wuchsen schneller als die traditionellen Marktführer Moskau und St. Petersburg.

Wachstum und Monopolisierung
Für das zurückliegende Jahr 2023 wird das Wachstum für den E-Commerce-Markt auf 40% geschätzt. Der Umsatz hat die Schwelle von 8 Bio. Rubel überschritten, umgerechnet rund 82 Mrd. Euro. Das starke Wachstum wird getragen von den Branchenriesen Wildberries und Ozon, die zusammen einen Marktanteil von mehr als 80 % ausmachen. Die Analysen der Branchenfirma „Data Insight“, in Auftrag gegeben vom Wirtschaftsmagazin Forbes Russia, zeigen, dass das Marktvolumen des Vorjahres 2022 bei 5,8 Bio. – rund 61 Mrd. Euro – lag.

Im Jahr 2017 machte E-Commerce noch 4% des gesamten Einzelhandels aus und stieg auf 15% im Jahr 2022. Der Anteil des E-Commerce im Non-Food-Einzelhandel wuchs von 10% im Jahr 2017 auf 30% im Jahr 2022.

97% des gesamten Umsatzvolumens im russischen E-Commerce entstammen inländischen Online-Marktplätzen. Der Anteil der grenzüberschreitenden Online-Käufe sank im ersten Halbjahr 2023 deutlich auf 2,8% gegenüber 4,5% im Vorjahr 2022. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Zahlen der Russischen Post wider, die einen Rückgang der aus internationalen Online-Geschäften empfangenen Pakete um 9% auf 54,6 Mio. Sendungen verzeichnete.
Regionale Dynamik
Eine auffällige Entwicklung ist das schnellere Wachstum des Online-Handels in regionalen Märkten. Demgegenüber sinken die Anteile der Metropolregionen Moskau, Moskauer Region und St. Petersburg am Gesamthandel. Elisaveta Khobotina, Leiterin der Data Insight-Projektabteilung, beschreibt die rasante Entwicklung des Online-Handels in den Regionen gegenüber Forbes: „Die Anteile der drei Metropolregionen – Moskauer Gebiet, Moskau und St. Petersburg –sinken weiter. Das sind nicht mehr die gleichen 60% wie in den 2010er Jahren.“ Ende 2023 betrug die Summe der drei führenden Regionen weniger als 35%, Tendenz abnehmend. Gleichzeitig bedeutet der Rückgang des Anteils der Metropolregionen keinen Rückgang der absoluten Auftragszahlen in Moskau oder St. Petersburg, die Regionen wachsen lediglich schneller.
Insbesondere fünf Regionen zeigten in den vergangenen Jahren einen starken Anstieg des Marktanteils: Tatarstan, Rostow, Tscheljabinsk, Nischni Nowgorod und Krasnodar. Krasnodar verzeichnete den größten Anstieg von 3,91 % auf 4,40 % am gesamten russischen Onlinehandel. Diese Daten spiegeln einen Trend wider, bei dem E-Commerce nicht nur in den Metropolen, sondern auch in regionalen Gebieten zunimmt. Die russische E-Commerce-Landschaft diversifiziert sich. Ein Ozon-Sprecher bestätigte diesen Trend, indem er offenlegte, dass 60% des Unternehmensumsatzes nun aus Regionen außerhalb der großen Metropolen stammen. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass in kleinen Ortschaften mit bis zu 10.000 Einwohnern die Bestellzahlen um mehr als das 2,3-fache gestiegen sind. Der E-Commerce-Boom in den fernöstlichen Regionen wie Magadan und Sachalin sowie in Republiken wie Tuwa und Burjatien zeigt, dass der Onlinehandel in Russland auch in ländlichen und abgelegenen Gebieten zunehmend Fuß fasst.

Wildberries und Ozon treiben das Wachstum voran, indem sie ihre Präsenz bis in die entlegensten Ecken Russlands ausweiten. Wildberries hat den Bau von großen Logistikzentren in verschiedenen Regionen angekündigt, die ihre Kapazitäten erheblich erweitern werden.

Verbraucherverhalten und Produktkategorien
Die Kundenpräferenzen zeigen eine Hinwendung zu sparsamerem Konsum, mit 65% der Käufer, die sich aufgrund niedriger Preise und 33% aufgrund attraktiver Werbeaktionen für den Online-Kauf entscheiden. Das Segment der Fast Moving Consumer Goods (tägliche Konsumgüter) zeigt die höchsten Wachstumsraten beim Umsatz. Der Studie von Data Insight zufolge erwerben 45% der Verbraucher Kosmetik und nahezu 40% Lebensmittel online, während Bekleidung mit 63% die Liste der beliebtesten Kategorien anführt. Für das Segment der Lebensmittellieferdienste prognostiziert Data Insight 2023 einen Anstieg auf 771 Mrd. Rubel, umgerechnet 7,9 Mrd. Euro – ein Wachstum von 40% im Vergleich zu 2022. Zugleich wird eine Reduktion der durchschnittlichen Einkaufssumme um 10% erwartet, auf durchschnittlich 1260 Rubel (13 Euro). Insbesondere im Jahr 2020 führten die Lockdown-Maßnahmen der COVID-19-Pandemie zu einem markanten Anstieg an Online-Handel-Konsumenten. In dieser Zeit begannen vermehrt Senioren ab 55 Jahren, digitale Marktplätze für ihre Einkäufe zu nutzen und setzten diese Gewohnheit auch nach dem Ende der Beschränkungen fort.
Werbemarkt steigt rasant
Im Jahr 2023 hat sich Retail Media als einer der dynamischsten Wachstumstreiber im russischen E-Commerce-Sektor herauskristallisiert. Retail Media bezeichnet eine Werbeform im E-Commerce, bei der Einzelhändler ihre eigenen digitalen Kanäle, wie die Website oder die mobile App, nutzen, um Werbung für Produkte oder Dienstleistungen zu schalten. Die Werbeeinnahmen auf den Onlinehandelsplattformen haben sich innerhalb der ersten neun Monate 2023 auf 45 Mrd. Rubel – umgerechnet 460 Mio. Euro – verdreifacht.

Marktplätze werden zunehmend zu einem bevorzugten Ort für Marken, um ihre Produkte einem breiten und kaufkräftigen Publikum zu präsentieren. Die Anziehungskraft verstärkt sich durch die regelmäßigen Besuche von Millionen Nutzern, wie bei Wildberries mit 70 Mio. monatlichen Besuchern.

Für 2024 wird erwartet, dass Onlinehandelsmarktplätze ihren Anteil am Werbemarkt noch ausbauen werden. Während der Gesamtumsatz im E-Commerce-Markt weiter steigt, deuten die Zahlen darauf hin, dass Retail Media eine Schlüsselkomponente in der Strategie von Online-Marktplätzen und Einzelhändlern bleiben wird, um sowohl die Sichtbarkeit als auch die Verkaufszahlen zu steigern.

Prognosen und Logistikentwicklung
Data Insight prognostiziert für das Jahr 2024 ein Marktvolumen von 10,1 Bio. Rubel (100Mrd. Euro) und 6,3 Mrd. Bestellungen. Das Tempo des Wachstums vermindert sich hingegen. Während 2020 noch ein Anstieg von 69% verzeichnet wurde, könnte die Wachstumsrate bis 2027 auf 10% abfallen. Dies deutet auf eine fortschreitende Marktsättigung und die Annäherung an die Grenzen des Marktpotenzials hin. Nichtsdestotrotz bleibt die Prognose für den Gesamtumsatz positiv: Erwartet wird ein Anstieg bis auf 15 Bio. Rubel – rund 150 Mrd. Euro – bis 2027. Dies unterstreicht die anhaltende Zuversicht in das Wachstum des E-Commerce-Marktes.

Die Entwicklung in den Regionen Russlands gewinnt zunehmend an Bedeutung, wie auch Wildberries bestätigt. Mit der Investition von 10 Mrd. Rubel (100 Mio. Euro) für ein neues Verteilzentrum in Jaroslawl und weiteren 7,8 Mrd. Rubel (80 Mio. Euro) für einen Logistikkomplex in Orenburg, verdeutlicht das Unternehmen seinen Fokus auf regionale Expansion. Bis 2027 plant Wildberries zusätzlich, in Perm einen Komplex für 8,5 Mrd. Rubel (870 Mio. Euro) zu errichten. Mit bereits 2,9 Mio. Quadratmetern bestehender Distributionsfläche und weiteren 3 Mio. im Bau zeigt Wildberries seine Ambition, die Präsenz im gesamten Land zu stärken und die Anzahl der Abholpunkte auf über 30.000 zu erweitern.

Auch Ozon sieht das Wachstumspotenzial vor allem in den Regionen, insbesondere in Städten unter einer Million Einwohnern und ländlichen Gebieten, wo sich der E-Commerce in den nächsten vier Jahren um das 2,5- bis 3-fache ausdehnen könnte. Die Verdopplung der Logistikfläche auf 2 Mio. Quadratmeter unterstreicht Ozons Engagement, die Liefergeschwindigkeit zu erhöhen und die „Tür-zu-Tür-Lieferungdienste“ zu verbessern. Diese Faktoren gelten als entscheidend für die Kundenzufriedenheit.

Quellen: Data Insight Studie, Forbes, AKIT, VC (alle RU)