Fokusanalyse

Seltene Erden: Flucht aus der Abhängigkeit

Analyse

Zahlreiche Hightech-Produkte können nur mithilfe von Seltenen Erden entstehen. Spätestens seit diesem Frühjahr stehen die Elemente jedoch auch im Fokus der Weltpolitik. US-Präsident Donald Trump hat kurz nach seinem Amtsantritt sein Interesse an der Gewinnung von Seltenen Erden sowohl in der Ukraine als auch in Russland bekundet. Währenddessen nutzte China seine Dominanz bei den Seltenen Erden als Waffe im Zollkrieg mit den USA und beschränkte im vergangenen Monat ihre Ausfuhr. Der Rest der Welt sucht schon seit Jahren nach Auswegen aus der Abhängigkeit von den Chinesen, nicht zuletzt Deutschland und auch Russland. Trotz großer eigener Vorkommen Seltener Erden ist es fast vollständig von Importen abhängig. Um das zu ändern, hat der russische Staat den einzigen heimischen Produzenten unter seine Kontrolle gebracht.

US-Abkommen mit der Ukraine

Ende April haben die USA und die Ukraine ein Investitionsabkommen unterzeichnet, das US-Unternehmen gewisse Vorzüge bei zukünftigen Rohstoffprojekten in der Ukraine einräumt, u. a. auch bei Seltenen Erden. Sie erhalten ein Vorverhandlungsrecht für künftige Rohstoffabnahmeverträge. Das Abkommen sieht weder exklusive Abnahmerechte noch Abschläge vom Marktpreis zugunsten der Amerikaner vor. Durch die Begrenzung auf neue Rohstoffprojekte entsteht für beide Partner ein Anreiz zu Investitionen, bemerkt das US-Medienportal CNN. Die USA unterstützen im Gegenzug die Erschließung neuer Vorkommen durch Finanzierung und Beratung.

Über den Umfang der ukrainischen Mineralvorkommen herrscht Unklarheit, wie der Washingtoner Thinktank CSIS Anfang Mai konstatiert. Die Regierung in Kiew schätzt das Potenzial auf 5% der kritischen Rohstoffe, zu denen neben den Seltenen Erden u. a. auch Grafit, Titan, Lithium und Beryllium gehören. Ein Teil der Vorkommen, insbesondere der Seltenen Erden, liegt im Donbassgebiet, das von Russland kontrolliert wird.

Laut dem ehemaligen Leiter des ukrainischen geologischen Diensts Roman Opimakh wurden die Daten dazu in der Sowjetzeit unter Anwendung veralteter Erkundungstechniken erhoben. Keines der bekannten Vorkommen der Ukraine sei wirtschaftlich nutzbar, berichtet der unabhängige Geologieberater Tony Marian, der einige Standorte geprüft hat.

US-Interesse an russischen Vorkommen

Ob es tatsächlich zu einer amerikanisch-russischen Zusammenarbeit bei den Seltenen Erden kommt, ist unklar. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte Ende Februar, sein Land würde bei der Erschließung von Vorkommen „mit Vergnügen mit allen ausländischen Partnern zusammenarbeiten, auch mit den amerikanischen“. Im Hinblick auf das US-Interesse an den ukrainischen Seltenen Erden sagte Putin, dass noch abgeschätzt werden müsse, wie groß und wie viel Wert die Vorkommen seien und ob es sie überhaupt gebe. Die russischen Reserven seien jedenfalls „um eine Größenordnung höher“, so Putin.

Einen Monat später erklräte der Chef des russischen Staatsfonds RDIF, Kirill Dmitrijew, der Teil des russischen Verhandlungsteams mit den Amerikanern ist, dass die angedachte russisch-amerikanische Zusammenarbeit noch aktuell sei. Er hatte zuvor in seiner Funktion als Sondergesandter des Präsidenten für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit an den ersten bilateralen Kontakten zwischen beiden Ländern seit drei Jahren teilgenommen. „Wir haben Diskussionen über verschiedene Metalle und Projekte im Bereich Seltene Erden in Russland aufgenommen“, sagte Dmitrijew Ende März.

Vitamine für Industrie

Unter dem Begriff „Seltene Erden“ werden 17 Metalle zusammengefasst, die chemisch verwandt sind oder in den gleichen Gesteinsarten anzutreffen sind. Die Industrie stellt mit ihrer Hilfe etwa Magnete für Elektromotoren in Autos und Windrädern her. Weitere große Einsatzbereiche sind Katalysatoren und die Metallurgie, wo ihre Beimischung zu besseren Materialeigenschaften führt. Daher bezeichnet man diese Metalle auch als „Vitamine für die Industrie“.

Die weltweite Förderung Seltener Erden ist von 64.500 Tonnen im Jahr 1994 auf 390.000 Tonnen im Jahr 2024 gestiegen, wie aus der Statistik der US-amerikanischen Zentralbehörde für geowissenschaftliche Daten, das U.S. Geological Survey (USGS) hervorgeht. Ihre Angaben beziehen sich, wie in der Branche üblich, auf Seltene-Erde-Oxide (REO), aus denen die einzelnen Metalle gewonnen werden.

Chinesische Dominanz

Der mit Abstand größte Produzent ist China, auf das im vergangenen Jahr 270.000 t Seltene-Erde-Oxide (REO) entfielen, was einem Anteil von 69% der weltweiten Förderung entsprach. In früheren Jahren war die chinesische Dominanz noch erdrückender. So förderte es laut USGS in den Jahren 2008 und 2009 jeweils 120.000 von weltweit 124.000 t REO, also fast 97%.

Während sich die Weltwirtschaft bei den geförderten Seltenen Erden langsam von der absoluten Abhängigkeit von China löst, bleibt sie auf höheren Stufen der Wertschöpfung bestehen. Bei der Verarbeitung der geförderten Seltenen Erden hat China einen globalen Marktanteil von 85%, bei der Produktion von Magneten sogar von 90%.

Im April hat China auf die hohen Zölle der USA mit Exportkontrollen für sieben Seltene-Erde-Metalle reagiert, die vorrangig in der Rüstungs-, Automobil- und Energieindustrie verwendet werden. Von einigen dieser Metalle ist China weltweit der einzige Produzent, erklärt der US-Thinktank CSIS. Daher sei ein Umstieg auf andere Lieferanten oder heimische Produktion kurzfristig nicht möglich, so das Resümee. Die Ausfuhrbeschränkungen bedeuten, dass Unternehmen beim chinesischen Handelsministerium eine Exportlizenz für die betroffenen Metalle beantragen müssen. Wie lange die Anträge bearbeitet werden, ist unklar. Ein anonymer chinesischer Händler von Seltenen Erden rechnet mit mindestens 60 Tagen.

„Seltene-Erde-Reserve“ für Deutschland

In Deutschland sehen Industrievertreter die Versorgungssicherheit gefährdet. Nach einigen Wochen seien die Vorräte an Seltenen Erden aufgebracht, es drohten Produktionsstopps, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In dem Artikel schlägt Benedikt Sobotka, der langjährige Vorstandschef des kasachischen Bergbaukonzerns Eurasian Resources Group, den Aufbau einer Reserve an Seltenen Erden vor, analog der Erdgasreserve. Während die Bevorratung mit Gas dutzende Milliarden Euro kostet, „reden wir bei den Seltenen Erden von winzigen Beträgen“, sagt Sobotka. Um die gesamte deutsche Wirtschaft über vier Monate mit Seltenen Erden zu versorgen, reiche es, für rund 20 Mio. Euro 2000 Tonnen einzulagern. Die Menge passe in vier Standardcontainer, so der Experte.

Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr importierte die EU rund 13 Mio. Tonnen Seltene Erden im Wert von rund 101 Mio. Euro, wie Daten des Statistikamts Eurostat zeigen. Aus Russland bezogen die EU-Mitglieder zusammen 3700 Tonnen im Wert von 9,6 Mio. Euro. 2021 waren es noch 4600 Tonnen für 14,2 Mio. Euro. In diesen Zahlen dürften aber auch Seltene Erden aus China enthalten sein, die über Russland auf dem Schienenweg in die EU gelangen.

Russische Vorkommen

Über den Stand der Gewinnung Seltener Erden in Russland geben die Berichte über „Zustand und Nutzung mineralischer Rohstoffe“ Aufschluss, die das russische Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt jährlich veröffentlicht. Die inländischen Vorkommen Seltener Erden gibt das Ministerium zum 1. Januar 2024 mit 28,5 Mio. Tonnen Seltene-Erden-Oxide (REO) an. Vier Jahre zuvor waren es 33 Mio. t.
Die Schätzungen der US-Behörde USGS zu den russischen Reserven schwankten in den vergangenen Jahren stark. Von 2019 bis 2021 lag das geschätzte Volumen bei 12 Mio. Tonnen REO, in den Berichten 2022 und 2023 waren es 21 Mio. Tonnen. Anschließend schrumpfte der Wert auf 10 Mio. und im Januar 2025 auf 3,8 Mio. Tonnen. Einen konkreten Grund für die Neubewertung führt die US-Behörde nicht an. Auch bei anderen Ländern weicht die Schätzung von den nationalen Angaben ab. So bewertet die Regierung Kanadas die eigenen Reserven mit 15,2 Mio. Tonnen REO, während USGS sie auf lediglich 0,8 Mio. t schätzt.

Die Rohstoff-Berichte der vergangenen Jahre betonen, dass Russland trotz großer eigener Vorkommen nur an einem Standort und in begrenztem Umfang über eine marktfähige Förderung Seltener Erden verfügt. Dabei handelt es sich um die staatlich betriebene Lagerstätte Lowosero in der Region Murmansk.

Insgesamt zählt Russland 18 erkundete Vorkommen. Ihrer Erschließung stehe die geringe Inlandsnachfrage und die „starke Konkurrenz des auf dem Weltmarkt dominierenden China“ entgegen, erklären die Rohstoff-Berichte der vergangenen drei Jahre übereinstimmend. Im Bericht zu 2021 war darüber hinaus noch die Rede von fehlenden Produktionskapazitäten. Außerdem findet sich dort die Feststellung, dass Russland seinen eigenen Verbrauch Seltener Erden „vollständig durch erzwungenen Import“ deckt. In späteren Berichten fehlt dieser Satz. Stattdessen verweist der aktuelle Bericht auf die 2024 erfolgte Einstufung der Seltenen Erden durch die Regierung als defizitäre Rohstoffe, bei denen Russland „in beträchtlichem Maß“ von Importen abhängig sei.

Abhängig von Importen

Ungeachtet der bedeutenden Vorkommen Seltener Erden bezieht Russland einen Großteil seines Bedarfs aus dem Ausland. Laut dem Industrie- und Handelsministerium belief sich der Verbrauch im Jahr 2023 auf 1420 Tonnen REO, der Anteil der Importe liegt aktuell bei rund 75%.

Daten zu Import und Export veröffentlicht das Ministerium seit 2022 nicht mehr. Die letzten Angaben dazu machte der im Januar 2023 erschienene Rohstoff-Bericht zu 2021 unter Verweis auf den föderalen Zolldienst. Demnach exportierte Russland insgesamt 5631 Tonnen Seltene-Erde-Produkte, nach 6454 Tonnen im Vorjahr. Der Import nach Russland lag bei 1218 Tonnen, wobei knapp ein Drittel aus China stammten, wie das russische Branchenportal Pro Metall schreibt. Mehr als die Hälfte der Importe nach Russland lieferte der estnische Seltene-Erden-Produzent NPM Silmet, der zur kanadischen Unternehmensgruppe Neo Performance Materials gehört. Mittlerweile sind diese Lieferungen u. a. wegen der EU-Sanktionen zum Erliegen gekommen.

Russische Produktion

Die heimische Produktion von Seltene-Erden-Produkten belief sich 2019 und 2020 auf 2600 Tonnen, 2023 waren es noch 2000 Tonnen. Das Rohstoff- und Umweltministerium entnimmt diese Angaben den Jahresberichten des Solikamsker Magnesiumwerks (SMZ), das in der Region Perm beheimatet ist und auch Magnesium und strategische Metalle wie Titan herstellt. Darüber stellt das Startup Skygrad im Gebiet Moskau nach eigenen Angaben bis zu 130 Tonnen Seltene-Erden-Produkte pro Jahr her. Bisher nutze es dafür Zwischenprodukte von SMZ, künftig will es die Rohstoffe aus Abfallprodukten der Düngerproduktion selbst gewinnen.

Solikamsker Magnesiumwerk

SMZ verkaufte 2024 laut Jahresbilanz Waren im Wert von 10,1 Mrd. Rubel, umgerechnet 109 Mio. Euro. Davon entfiel nur ein geringer Teil auf Seltene Erden, wie aus Äußerungen seines Generaldirektors Ruslan Dimuchamedow hervorgeht, der auch der Vorsitzende des russischen Verbands der Hersteller und Verbraucher Seltener Metalle und Erden ist. In einem Interview mit der Unternehmensberatung Kept, dem früheren KMPG, von Herbst 2024 bezifferte er die Erlöse aus der Herstellung Seltener Erden in Russland auf etwas mehr als 1 Mrd. Rubel (10,8 Mio. Euro) im Jahr.

Als wichtigste in Russland vorhandenen Seltenen Erden nennt Dimuchamedow Lanthan, Cer, Praseodym, Samarium und Neodym, mit dessen Hilfe Magnete hergestellt werden. Die von SMZ aus den in Lowosero geförderten Rohstoffen erzeugten Zwischenprodukte müssen weiterverarbeitet werden, um industriell genutzt werden zu können. Dabei werden die Metalle in einem technologisch anspruchsvollen und kostenintensiven Verfahren voneinander getrennt. Das geschah schon zu Sowjetzeiten bei Silmet in Estland. SMZ belieferte es mit ungereinigtem Mischkonzentrat Seltener Erden, wie das Fachportal Pro Metall erklärt. Anschließend exportierte Silmet einen Teil der getrennten Seltene-Erden-Oxide und -metalle nach Russland. 2022 endete diese in Jahrzehnten gewachsene Symbiose. Stattdessen müsse sich SMZ nun Partner in China suchen, so der Bericht.

Die Verarbeitung der in Russland geförderten ungetrennten Seltenen Erden könne in Zukunft auch in Russland stattfinden, sagt SMZ-Chef Dimuchamedow. Er deutet zugleich an, dass die Investitionen dafür angesichts der geringen heimischen Nachfrage wirtschaftlich nicht gerechtfertigt seien. Dimuchamedow wünscht sich daher staatliche Hilfe. Dafür würde schon 1% der Erlöse der russischen Goldproduzenten genügen, so der Manager.

Verstaatlichung von SMZ

Der enorme Nachholbedarf an Investitionen in die russische Produktion von Seltenen Erden dürfte auch eine Rolle bei der seit 2021 betriebenen Verstaatlichung des Solikamsker Magnesiumwerks gespielt haben. Es gilt als Präzedenzfall in der sogenannten Deprivatisierung in Russland, also der Rückabwicklung von Privatisierungen nach dem Zerfall der Sowjetunion zu Beginn der Neunzigerjahre.

Wie das Rechtsunternehmen Shift in seinem Dossier zusammenfasst, beantragte die Generalstaatsanwaltschaft im Oktober 2021 die Enteignung der vier Hauptaktionäre des Unternehmens, die zusammen fast 90% der Anteile hielten. Die Begründung war, dass die russische Regierung im Jahr 1992 dem Verkauf des damaligen Staatsunternehmens hätte zustimmen müssen, da es u. a. Seltene Erden produzierte. Die damalige Entscheidung der Regionalregierung sei daher nicht rechtens.

Während es solche Enteignungen immer wiederund seit 2022 verstärkt gab, sorgte der Fall SMZ für Aufsehen, weil der Staat erstmals auch gegen die übrigen 2200 Aktionäre des Unternehmens vorging. In anderen Fällen wie dem Ölkonzern Baschneft konnten die Aktien auch nach der Verstaatlichung an der Börse gehandelt werden. Im März 2024 segnete das Handelsgericht in Perm die Enteignung der Kleinaktionäre von SMZ ab.

Pläne für Importunabhängigkeit

Der neue SMZ-Eigentümer, der Staatskonzern Rosatom, hat im März die Erweiterung des Werks um eine Anlage zur Trennung Seltener Erden angekündigt, also für den Verarbeitungsschritt, der bislang in Estland stattfand. Die Anlage soll 7 Mrd. Rubel (75 Mio. Euro) kosten und 2027 in Betrieb gehen. Hauptabnehmer der Produktion soll die ebenfalls von Rosatom geplante erste russische Fabrik für Magnete in der Region Udmurtien sein. Sie sollen bei der Produktion von Windkraftanlagen und Elektrofahrzeugen zum Einsatz kommen.

Damit hätte Russland erstmals seit dem Zerfall der Sowjetunion eine vollständige eigene Wertschöpfungskette für Seltene Erden. Und es wäre dem deklarierten Ziel der Regierung nähergekommen, seine eigene Produktion von Seltenen Erden bis 2030 auf 7500 Tonnen im Jahr zu steigern.

Doch auf dem Weg dorthin läuft nicht alles nach Plan. So hat die Erschließung des vielversprechendsten russischen Vorkommens von Seltenen Erden, Tomtor in Jakutien, bis heute nicht begonnen. Russische Medien spekulieren daher bereits über eine mögliche Enteignung der privaten Eigentümer zugunsten des Staates, um die nötigen Investitionen anzustoßen.

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