Fokusanalyse

BRICS-Staaten zu alternativer Finanzinfrastruktur

Russland hat beim Kasaner Gipfel der BRICS-Staaten im Oktober einen Vorschlag für ein einheitliches Zahlungs-Abwicklungssystem innerhalb der BRICS-Staaten vorgelegt. Dieses System, bekannt als „BRICS Clear“, soll eine Alternative zu westlichen Finanzsystemen wie Euroclear und Clearstream bieten, insbesondere für grenzüberschreitende Transaktionen ohne Einbindung des Westens. Die amerikanischen Analysten der Finanzplattform Bloomberg glauben nicht an den Erfolg der Initiative: Zwar sei das Konzept technisch machbar, doch zeige sich wenig Interesse seitens der meisten BRICS-Länder außer Russland und Iran, die beide unter westlichen Sanktionen leiden.

Hintergrund der russischen Bemühungen ist, dass fast alle russischen Banken vom SWIFT-Zahlungssystem ausgeschlossen sind und russische Vermögenswerte in Höhe von fast 200 Mrd. Euro bei Euroclear in Brüssel und rund 5 Mrd.in Amerika eingefroren wurden. Zudem erschweren westliche Sekundärsanktionen die Abwicklung von Handelsgeschäften mit Russland selbst für Verbündete wie China und Indien.

Finanzinfrastruktur in der Kasaner Erklärung
In der 33-seitigen Kasaner Erklärung, die während des BRICS-Gipfels Ende Oktober verabschiedet wurde, sind zentrale Initiativen und Pläne zur Entwicklung einer alternativen Finanzinfrastruktur festgehalten. Die BRICS-Staaten bekräftigen ihre Absicht zur finanziellen Zusammenarbeit und zur Etablierung alternativer Finanzsysteme.

Die BRICS-Staaten betonen die Bedeutung nationaler Währungen, um die wirtschaftliche Autonomie zu stärken und die Abhängigkeit von traditionellen Reservewährungen wie dem US-Dollar zu verringern. In der Kasaner Erklärung heißt es: „Wir betonen die Bedeutung der Verwendung nationaler Währungen im internationalen Handel und in Finanztransaktionen zwischen den BRICS-Staaten und anderen Handelspartnern, um die Abhängigkeit von konventionellen Währungen zu reduzieren und die wirtschaftliche Souveränität zu stärken.“

Besonders für Länder wie Russland, die von westlichen Sanktionen betroffen sind, ist dieser Punkt von strategischer Bedeutung. Ein effizientes Zahlungssystem ist eine der zentralen Initiativen, die im Fokus der BRICS-Kooperation steht: „Wir verpflichten uns zur Schaffung eines schnellen, kostengünstigen, effizienten, transparenten, sicheren und integrativen grenzüberschreitenden Zahlungssystems, das darauf abzielt, Handelshemmnisse zu minimieren und einen diskriminierungsfreien Zugang zu gewährleisten.“
Ziel ist, ein System zu entwickeln, das unabhängig von westlichen Finanzplattformen wie SWIFT operieren kann. SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) ist das weltweit führende Netzwerk für den Austausch von Finanznachrichten zwischen Banken. Gegründet 1973 in Belgien, verbindet SWIFT über 11.000 Banken und Finanzinstitute in mehr als 200 Ländern.

Zur Unterstützung von Zahlungen in Landeswährungen sehen die BRICS-Staaten die Erweiterung ihres Korrespondenzbankennetzwerks als notwendig an: „Wir erkennen die Notwendigkeit an, das Netzwerk der Korrespondenzbanken innerhalb der BRICS-Staaten zu erweitern, um den Zahlungsverkehr in lokalen Währungen zu erleichtern und die finanzielle Zusammenarbeit zu vertiefen.“

Ein weiterer Fokus liegt auf der Kompatibilität der Finanzmarktinfrastrukturen, um den Datenaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den BRICS-Staaten zu verbessern: „Wir streben die Verbesserung der Interoperabilität unserer Finanzmarktinfrastrukturen an, um den Datenaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den Finanzsystemen der BRICS-Länder zu fördern.“

Diese Initiative wird als entscheidender Schritt angesehen, um die Integration der BRICS-Wirtschaften zu erleichtern und die Effizienz grenzüberschreitender Finanztransaktionen zu erhöhen.

Die Kasaner Erklärung enthält einen speziellen Auftrag zur Prüfung eines gemeinsamen Clearing- und Abwicklungssystems, das als Alternative zu westlichen Plattformen wie Euroclear dienen soll. Euroclear wurde 1968 gegründet und hat seinen Sitz in Brüssel, Belgien. Als sogenannter zentraler Verwahrer (Central Securities Depository, CSD) verwaltet Euroclear außerdem die Nachweise darüber, wem welche Wertpapiere gehören. In der Kasaner-Erklärung heißt es:

„Wir beauftragen unsere Finanzminister und Zentralbankgouverneure, die Machbarkeit eines gemeinsamen Clearing- und Abwicklungssystems, bekannt als ‚BRICS Securities Depository and Settlement Infrastructure', zu untersuchen, das als Alternative zu bestehenden Plattformen dienen soll.“

Auch digitale Technologien wie digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) werden von den BRICS-Staaten untersucht: „Wir ermutigen zur Erforschung und Entwicklung von Zahlungsinstrumenten und Plattformen, einschließlich der Möglichkeit, digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) für grenzüberschreitende Transaktionen einzusetzen.“

Abschließend bekennen sich die BRICS-Staaten zur Notwendigkeit, ihre Finanzinfrastruktur gegen geopolitische Risiken zu wappnen: „Wir betonen die Notwendigkeit, wirtschaftliche und finanzielle Stabilität in einem zunehmend multipolaren Kontext zu fördern und unsere Finanzinfrastrukturen gegen geopolitische Risiken zu wappnen.“
Vorschläge für alternative Finanzinfrastruktur
Die Neue Entwicklungsbank NDB, gegründet im Jahr 2015, finanziert Entwicklungsprojekte in den BRICS-Ländern. Mit einem genehmigten Kapital von 100 Mrd. US-Dollar hat sie bisher mehr als 30 Mrd. US-Dollar in Projekte investiert. Ein besonderes Merkmal der NDB ist die Vergabe von Krediten in Landeswährungen, was die Abhängigkeit vom US-Dollar reduzieren soll und Wechselkursrisiken minimiert. Die aktuelle Chefin der NDB ist die frühere Präsidentin Brasiliens Dilma Roussef.

BRICS Clear ist ein geplantes Clearing-System, das eine Alternative zu Euroclear und anderen westlich dominierten Plattformen darstellen soll. Laut der Kasaner Erklärung 2024 soll BRICS Clear für den Handel mit Wertpapieren, Investitionen und die Buchführung genutzt werden. Die Distributed Ledger Technology ermöglicht eine dezentrale Speicherung von Transaktionen, die in einem Netzwerk von Knoten validiert werden. Dadurch wird das System transparent, sicher und manipulationsresistent. Ziel ist es, die Transaktionskosten zu senken und die Abwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen, ohne von westlichen Infrastrukturen abhängig zu sein. Die Entwicklung von BRICS Clear erfordert jedoch eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, um technische Standards und regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ein weiteres Konzept ist BRICS Pay, ein geplantes Zahlungssystem, das auf QR-Code-Technologie basiert und grenzüberschreitende Zahlungen in Landeswährungen ermöglichen soll. Nutzer mit einem QR-Code sollen künftig in einem BRICS-Land direkt in ihrer Heimatwährung bezahlen können, ohne den Umweg über den US-Dollar. Während des BRICS-Wirtschaftsforums 2024 in Moskau wurde eine Testversion von BRICS Pay vorgestellt, bei der Teilnehmer kleinere Beträge mit QR-Codes transferieren konnten. Das System soll in Zukunft auf andere Länder ausgeweitet werden, einschließlich Ländern wie der Türkei. Die Testversion von BRICS Pay zeigte jedoch, dass die technische Infrastruktur noch unausgereift ist und breitere Akzeptanz sowie Integration mit bestehenden Zahlungssystemen wie WeChat Pay oder Mir fehlen.

Die etablierten Systeme wie SWIFT und Euroclear bleiben der Standard für den globalen Zahlungsverkehr und die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen. SWIFT verbindet weltweit Banken und ermöglicht einen sicheren Austausch von Zahlungsinformationen, während Euroclear als führendes Abwicklungssystem für Wertpapiere dient.

Experten-Einschätzungen zu den BRICS-Plänen
Der bekannte amerikanische Autor Nassim Nicholas Taleb, bekannt für sein Buch „The Black Swan“, ist der Meinung, dass die jüngsten geopolitischen Entwicklungen unter den BRICS-Staaten die Entschlossenheit veritstärkt haben, alternative Finanzwege zu den vom Westen beherrschten Finanzinstitutionen zu suchen. In einem Interview mit der amerikanischen Nachrichtenagentur Bloomberg am 11. Oktober 2024 erklärte Taleb, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland, insbesondere das Einfrieren russischer Vermögenswerte nach dem Ukraine-Krieg, eine gefährliche Vertrauenskrise in die westlichen Finanzstrukturen ausgelöst hätten.

„Die Konfiskation russischer Vermögenswerte ist eine der größten finanziellen Fehlentscheidungen des 21. Jahrhunderts”, sagte Taleb. Auch wenn diese Maßnahmen gerechtfertigt erscheinen mögen, hätten sie eine langfristige Erosion des Vertrauens in den US-Dollar als globale Reservewährung zur Folge. Taleb betonte, dass der Dollar weiterhin für 88% der weltweiten Devisentransaktionen genutzt wird, aber seine Stellung als Wertaufbewahrungsmittel zunehmend geschwächt wird. „Menschen nutzen den Dollar für Transaktionen, aber sie speichern ihr Vermögen nicht mehr in Dollar. Das ist ein Problem,“ warnte er.

Taleb sieht in den BRICS-Plänen zwar eine natürliche Reaktion auf geopolitische Unsicherheiten, bleibt jedoch skeptisch, ob diese Initiativen langfristig erfolgreich sein können. „Die Stabilität eines Finanzsystems hängt von Vertrauen ab, und die BRICS-Staaten haben bisher nicht gezeigt, dass sie dieses Vertrauen auf globaler Ebene gewinnen können.“

Rolf Langhammer, Ökonom am Institut für Weltwirtschaft Kiel, analysierte die BRICS-Pläne ebenfalls kritisch. Seiner Meinung nach ist das Vorhaben, den US-Dollar als dominante Reservewährung durch alternative Systeme zu ersetzen, ambitioniert und mit erheblichen strukturellen Problemen behaftet. „Die Summe schwacher Währungen schafft zusammen keine starke Währung“, erklärte er im Gespräch mit der Berliner Zeitung.

Langhammer betont, dass bilaterale Handelsabkommen in Landeswährungen zwar kurzfristig funktionieren könnten, jedoch anfällig für Handelsungleichgewichte seien. Länder wie Russland und China könnten zwar durch den Handel in Rubel oder Renminbi profitieren, doch kleinere BRICS-Staaten wie Südafrika oder Brasilien könnten Schwierigkeiten haben, ihre wirtschaftlichen Interessen in einem solchen System zu wahren. Langhammer sieht zudem geopolitische Spannungen innerhalb der Gruppe als potenzielle Stolpersteine. „Die Diversität der BRICS-Staaten, sowohl politisch als auch wirtschaftlich, könnte den Fortschritt behindern,“ betont er.

Im Podcast (LINK) „Zaren, Daten, Fakten“ der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer argumentiert Jacques Sapir, französischer Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Elite-Universität EHESS in Paris, dass BRICS durch die Diversität und wirtschaftliche Größe der Mitgliedsländer eine relevante Kraft in der internationalen Arena darstellt.

Ein zentrales Thema bei BRICS ist für Sapir die Schaffung eines alternativen Währungssystems zur Erleichterung des Handels unter den Mitgliedsstaaten. Sapir vergleicht dies mit der Europäischen Zahlungsunion (UEP), die von 1949 bis 1957 den innereuropäischen Handel erleichterte, indem sie eine Art Verrechnungseinheit nutzte, anstatt für jede Transaktion direkte Zahlungen zu leisten. Eine ähnliche Lösung könnte den Handel zwischen Ländern wie Russland, Indien und China fördern und die Abhängigkeit von westlichen Transaktionssystemen wie SWIFT reduzieren.

Sapir erklärt, dass technische Hürden für die Einführung eines solchen Systems gering sind, insbesondere da China, Indien und Russland über fortschrittliche Technologien wie stabile Kryptowährungen (englisch: „Stable Coins“) verfügen. Die eigentliche Herausforderung sieht er in den politischen Fragen, etwa der Verteilung von Macht und Einfluss in einem neuen BRICS-Zahlungssystem. Der Streit um das Gewicht verschiedener Mitglieder, etwa Brasilien und Südafrika im Vergleich zu China und Indien, verdeutlicht die politische Dimension dieses Projekts. Sapir erklärt, dass eine Entscheidung über eine gemeinsame BRICS-Verrechnungseinheit oder ein ähnliches System innerhalb von 12 bis 18 Monaten möglich ist. Speziell für Russland sei ein solches alternatives Zahlungsmittel wichtig, um etwa seine Handelsüberschüsse in indischen Rupien durch BRICS möglicherweise einfacher an andere Länder wie China weiterzugeben.

Professor Warwick Powell, Experte für internationale Finanzsysteme und Professor an der neuseeländischen Queensland University of Technologies hebt hervor, dass technologische Fortschritte wie Blockchain-basierte Plattformen und Distributed Ledger Technology entscheidend für den Erfolg von Projekten wie BRICS Clear oder BRICS Pay seien. „Die technologischen Hürden sind geringer als die politischen. Die wahre Herausforderung liegt in der Zusammenarbeit der BRICS-Staaten“, so Powell. Er sieht in den BRICS-Plänen eine „bewusste Bewegung hin zu einem multipolaren System, das nicht nur ökonomische, sondern auch politische Unabhängigkeit signalisiert.“

Powell denkt jedoch, dass die Dominanz des US-Dollars nicht linear zurückgehen werde. „Der Prozess beginnt langsam, wird aber durch Netzwerkeffekte beschleunigt, sobald ein alternatives System operativ ist.“

Jim O’Neill Analyst der Investmentbank Goldman Sachs, der den Begriff „BRICS“ im Jahr 2001 kreierte, äußert sich kritisch zu den BRICS-Plänen. In einem Interview mit Reuters erklärte er: „Die BRICS-Staaten haben in den vergangenen 15 Jahren wenig Substanzielles erreicht. Es bleibt unklar, ob sie tatsächlich in der Lage sind, ein funktionierendes Alternativsystem zu schaffen.“

O’Neill, der von Reuters als „Mr. BRICS“ bezeichnet wird, sieht insbesondere die Spannungen zwischen China und Indien als großes Hindernis. „Die beiden Länder, die am meisten Gewicht haben, stehen oft auf gegensätzlichen Seiten“, erklärte er. Seiner Ansicht nach konzentrieren sich die BRICS-Staaten zu sehr auf symbolische Gesten, anstatt konkrete wirtschaftliche Maßnahmen voranzutreiben: „Wenn die BRICS-Staaten wirklich ernsthaft an ihren Zielen arbeiten wollen, sollten sie zunächst die Handelsbarrieren zwischen ihnen abbauen. Das wäre ein realistischer erster Schritt.“

Quellen: Reuters (EN), BRICS-Pay, RBC (beide RU), Berliner Zeitung, Bloomberg (EN), Gulf News (EN), Forbes (RU)