Fokusanalyse

BRICS-Gipfel in Kasan 2024

Das 16. Gipfeltreffen der BRICS-Staaten, das in Kasan, der Hauptstadt der russischen Republik Tatarstan stattfand, ging in der vergangenen Woche ohne große wirtschaftlich relevante Durchbrüche zu Ende. Die „Kasaner-Erklärung“ der BRICS-Staatsoberhäupter und Regierungschefs bekräftigte in 133 Punkten das Ziel einer multipolaren Weltordnung, gestützt auf stärkere Handelskooperation, Infrastrukturinvestitionen und digitale Finanzlösungen.

Aufgrund der Teilnahme von UN-Generalsekretär António Guterres, Chinas Präsident Xi Jinping, Indiens Premierminister Narendra Modi sowie 27 weiterer Staats- und Regierungschefs, darunter der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, war der Gipfel auch eine russische Machtdemonstration. Das größte Land der Erde ist weltweit nicht so isoliert, wie vom Westen nach zweieinhalb Jahren Sanktionen erhofft, schreiben auch westliche Kommentatoren.

Wirtschaftskraft der BRICS-Staaten
Die fünf Gründungsmitglieder der BRICS stehen mit einem Bruttoinlandsprodukt von 27,17 Bio. Euro für ca. 26% der Weltwirtschaft und mit zusammen 3,6 Mrd. Einwohnern für 44% der Weltbevölkerung.
  • China: 1,42 Mrd. Einwohner; BIP pro Kopf: 12.730 Euro; 3.045.000 Soldaten
  • Indien: 1,45 Mrd. Einwohner; BIP pro Kopf: 2.413 Euro; 4.246.800 Soldaten
  • Russland: 144,82 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 13.537,5 Euro; 3.159.000 Soldaten
  • Brasilien: 212 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 8.616,5 Euro; 2.101.500 Soldaten
  • Südafrika: 64 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 6.412,5 Euro; 80.400 Soldaten

Erstmals waren die fünf neuen, beim Gipfeltreffen in Südafrika angekündigten Staaten, das im September vergangenen Jahres stattgefunden hatte, mit von der Partie:

  • Ägypten: 116,5 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 3.705 Euro; 1.314.500 Soldaten
  • Äthiopien: 132 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 1.073,5 Euro; 503.000 Soldaten
  • Iran: 91,57 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 4.446 Euro; 1.000.000 Soldaten
  • Vereinigte Arabische Emirate: 11 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 50.625,5 Euro; 193.000 Soldaten
  • Saudi-Arabien: 33,96 Mio. Einwohner; BIP pro Kopf: 27.255,5 Euro; 281.500 Soldaten
Zusammen mit den anderen vertretenen Staaten entspricht dies bei insgesamt etwa 4 Mrd. Einwohnern rund 49% der Weltbevölkerung und etwa 30% des weltweiten Bruttoinlandsproduktes. Die Staaten der EU und die Vereinigten Staaten kommen zusammen auf 38 Bio. Euro und repräsentieren wichtige wirtschaftliche und sicherheitspolitische Bündnisse mit Partnerstaaten wie Japan (125 Mio. Einwohner, BIP pro Kopf: ca. 39.200 Euro), Südkorea (51,7 Mio. Einwohner, BIP pro Kopf: 32.880 Euro) und Neuseeland (5,2 Mio. Einwohner, BIP pro Kopf: 43.800 Euro).

Eine Reihe von Staaten wie Brasilien, Südafrika, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate bemühen sich, geleitet von ihren nationalen Interessen, neben der BRICS-Mitgliedschaft oder der BRICS-Gipfelteilnahme auch um gute Beziehungen zum Westen.
Der Anteil der BRICS-Staaten am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist seit 1992 erheblich gestiegen. 1992 machten die BRICS-Länder 16,5% des weltweiten kaufkraftparitätischen BIP aus, was sich bis 2024 auf 32,7% erhöht hat. Im gleichen Zeitraum sank der Anteil der G7-Staaten von 45,8% auf 29,1%.

Ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Stärke der BRICS-Staaten ist ihre Rolle in der globalen Energieproduktion, insbesondere bei der Ölproduktion. Laut dem vom Energy Institute (EI) herausgegebenen Statistical Review of World Energy sind die BRICS-Staaten für 42,4% der weltweiten Ölproduktion verantwortlich. Dabei nimmt Saudi-Arabien mit einem Anteil von 12,9% eine führende Rolle ein, gefolgt von Russland mit 11,9% und China mit 4,4%. Im Vergleich dazu kommen die G7-Staaten nur auf 29% der globalen Ölproduktion, vor allem durch die amerikanische Ölindustrie.
Die Außenhandelsbilanzen der BRICS-Staaten zeigen ein heterogenes Bild. China führt mit einem Handelsüberschuss von 823 Mrd. US-Dollar im Jahr 2023. Auch Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate weisen mit 120,1 Mrd. US-Dollar und 95,1 Mrd. US-Dollar positive Handelsbilanzen auf. Andere BRICS-Mitglieder wie Brasilien und der Iran verzeichneten ebenfalls leichte Handelsüberschüsse, während Indien mit -240,7 Mrd. US-Dollar und Ägypten mit -41,1 Mrd. US-Dollar substanzielle Handelsdefizite verzeichnen. Diese Unterschiede zeigen die wirtschaftliche Diversität innerhalb der BRICS-Gruppe und die unterschiedlichen Herausforderungen, mit denen die Länder konfrontiert sind.
Politische Gespräche am Rande des Gipfels
Ein Höhepunkt des Gipfels war nach Einschätzung internationaler Experten das Treffen zwischen dem chinesischen Xi Jinping und Narendra Modi, bei dem der langjährige Grenzkonflikt zwischen den beiden Groß- und Atommächten im Himalaja entlang der Line of Actual Control (LAC) thematisiert wurde. Die beiden Staatsoberhäupter einigten sich darauf, bestehende Protokolle zur Grenzpatrouille zu stärken, um Zusammenstöße zu verhindern.

Der in Berlin für einen amerikanischen Thinktank arbeitende Russlandexperte Alexander Gabujew sieht im bilateralen Treffen zwischen Xi und Putin nur die „Spitze des Eisbergs der strategischen Zusammenarbeit“ beider Länder. Gabujew hebt hervor, dass China anders als alle anderen Gipfelteilnehmer ranghohe Vertreter seiner Wirtschaftsbehörden entsandt hatte, darunter Finanzminister Fo'an, Handelsminister Wang Wentao sowie der Präsident der chinesischen Zentralbank Pan Gongsheng und der Direktor der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission Zheng Shanjie. Diese starke wirtschaftliche Präsenz Chinas kontrastierte stark mit Indiens eher sicherheitsorientierter Delegation.

Am Rande des Gipfels fand auch ein bemerkenswerter diplomatischer Austausch statt: Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew führten Gespräche zur Beilegung ihrer territorialen Konflikte.
Deutsche, russische und internationale Medienstimmen zum Gipfel
Der einflussreiche Publizist und Medienunternehmer Gabor Steingart schreibt in seiner Digitalzeitung Pioneer-Business-Briefing zum BRICS-Gipfel: „Die Versammelten repräsentieren 45% der Weltbevölkerung. Putin spricht von einer neuen Weltmehrheit des Globalen Ostens und Südens. Diese bunte Truppe ist kein Putin-Fanklub, sehr wohl aber eine Interessengemeinschaft derer, die nicht wollen, dass der Westen durchzieht. „Amerika zuerst“ ist hier kein Versprechen, sondern eine Drohung. Man wünscht den Gegenpart, den Antipoden, als der Putin sich anbietet. Der Westen kann dieses Russland politisch ächten, militärisch bekämpfen und wirtschaftlich sanktionieren. Aber er kann es nicht zerdrücken. Er kann es nicht weghexen. Er kann es nicht mal isolieren, wie der BRICS-Gipfel zeigt.“

Vor mehr als einem Jahr hatte Steingart BRICS als „Scheinriesen“ bezeichnet, die Gefahr der Spaltung durch die Aufnahme neuer Mitglieder beschworen und darauf verwiesen, dass:

  • 78% des Welthandels in Dollar oder Euro erfolgen und es keine gemeinsame Reservewährung der BRICS-Staaten gibt;
  • das Fördervolumen der BRICS-Entwicklungsbank nur einen Bruchteil des Fördervolumens der Weltbank darstellt;
  • westliche Länder deutlich reicher sind als die BRICS-Staaten;
  • China nicht die Anziehungskraft besitzt, über die Amerika und der Westen insgesamt verfügen;
  • die Volkswirtschaften der BRICS-Staaten schlecht zueinander passen.

Das führende deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel beschreibt das Treffen als „großen diplomatischen Erfolg“ für Russlands Präsidenten Wladimir Putin. „Putins Botschaft an die USA und Europa ist klar: Ihr seid längst in der Minderheit." Zentral für Russland ist laut dem Spiegel die Entwicklung einer neuen Finanzarchitektur ohne den US-Dollar. Diese Unabhängigkeit sieht der Kreml als „Frage des wirtschaftlichen Überlebens“, um sich gegen „die Sanktionen der USA und Europas abzusichern“.

Die Berliner Zeitung analysiert den BRICS-Gipfel in Kasan als ein deutliches Zeichen einer geopolitischen Verschiebung hin zu einem „Nichtwesten“. Sie schreibt: „Der Kasaner Gipfel, nicht zuletzt die Anwesenheit des UN-Generalsekretärs António Guterres, hat die BRICS als geopolitische Realität etabliert. Man begreift sie am besten als emanzipative Selbstermächtigung des Nichtwestens – ohne den Westen. Ein „Gegen den Westen“ existiert primär in den Fantasien und Sehnsüchten des emotional überspannten Russlands – und in den Ängsten des Westens selbst. Die eigentliche Triebkraft hinter der BRICS-Dynamik ist eine ganz andere: Nur noch 9% aller Kinder auf der Welt wachsen in den Ländern des sogenannten Westens heran.“ Zur fast 35-seitigen Kasaner-Erklärung schreiben die Berliner: „Das ambitionierte Dokument beweist den Ehrgeiz seiner Autoren: Die westliche Deutungshoheit wird auf keinem Feld mehr unangefochten sein.“

Die Süddeutsche Zeitung (SZ) beschreibt das Abschlussdokument des Gipfels als eine Sammlung von „luftigen Zielen und vielen Beschwerden“. In der in ganz Deutschland verbreiteten, in München erstellten Tageszeitung heißt es, Putin habe auf eine SWIFT-Alternative verzichtet, was als „Rückzug von früheren Ambitionen“ gewertet wird. Auch die politische Dynamik zwischen den Mitgliedern wird erwähnt, da „nicht alle Mitglieder dieselbe Haltung zum Westen“ einnehmen und die Zusammenarbeit, damit oft auf „symbolische Stärke statt auf konkrete Initiativen“ beschränkt bleibt.

Unter der Überschrift „Wer nicht bricsiert, trinkt keinen Champagner“, die an das russische Sprichwort „Wer nichts riskiert, trinkt keinen Champagner“ angelehnt ist, schreibt der Sonderkorrespondent Andreij Kolesnikow in der russischen Wirtschaftszeitung Kommersant: „Kasan macht einen guten Eindruck auf die Person, die aus dem Flugzeug steigt, ins Auto steigt und wegfährt. Und da fast alle, die zum Gipfel angereist waren, aus dem Flugzeug stiegen, hinterließ Kasan bei allen einen guten Eindruck.“ Das Treffen zwischen Wladimir Putin und der Präsidentin der BRICS-Entwicklungsbank Dilma Roussef kommentierte der Starjournalist so: „Es waren so viele Verhandlungsführer der russischen Seite anwesend, dass Frau Rousseff sogar zu schwanken schien, als sie den Verhandlungssaal alleine betrat. Der Sinn der russischen Avancen ist klar: Die Neue Entwicklungsbank hat nach internationalen Sanktionen im dritten Jahr keine Projekte in Russland finanziert.“

Rossiskaja Gaseta, die offizielle Zeitung der russischen Regierung, zitierte unter der Überschrift „Die Schaffung des BRICS-Zahlungssystems wurde als lebenswichtige Notwendigkeit bezeichnet“ ausführlich den russischen Finanzminister Anton Siluanow: „Wenn das derzeitige System, das jeder kennt, versagt und nicht funktioniert, müssen wir eine Alternative schaffen. Manche Menschen sind mit dem aktuellen System zufrieden, aber es ist immer besser, wenn es eine Alternative gibt.“

Die indische Hindustan Times wiederum beleuchtet die Chance für Indien, sich mithilfe von BRICS stärker als unabhängiger Akteur auf der Weltbühne zu positionieren. Das auflagenstarke Blatt schreibt: „Indien, wie auch Länder wie Brasilien und Südafrika, möchte nicht alle Eier in einen Korb legen und sich ausschließlich auf den Westen verlassen. Vielmehr möchte Indien seine außenpolitischen Entscheidungen von den Prinzipien der strategischen Autonomie und Multipolarität leiten lassen.“ Das indische Leitmedium schreibt weiter: „Dank ihrer ausgewogenen Positionen zu globalen Themen haben die BRICS falsche Vorstellungen ausgeräumt, dass BRICS eine antiwestliche Organisation sei. Stattdessen haben sie den Schwerpunkt der Organisation auf die Stärkung der Stimmen und Interessen des Globalen Südens verlagert, indem sie sich auf Themen wie die Klimakrise, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit konzentrieren.“ Indien steht dem Gedanken einer kompletten „Entdollarisierung“ eher skeptisch gegenüber, und wie Brasilien zielt es darauf ab, wirtschaftliche Autonomie zu fördern, ohne jedoch in eine Anti-West-Haltung zu verfallen. Die Hindustan Times nennt Indiens Politik in BRICS „eine Balance der Interessen“, bei der das Land einerseits seine Stellung innerhalb des Globalen Südens stärkt und andererseits vermeidet, zu sehr auf antiwestliche Rhetorik zu setzen. BRICS erlaubt Indien, seine Interessen voranzutreiben, ohne sich dabei zu sehr vom Westen abhängig zu machen.

Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua preist BRICS als einen „Motor für globale Stabilität und ökonomische Emanzipation“ und verlautbart: „BRICS vereint Länder, die am globalen Handel teilnehmen möchten, ohne dass es zu Instabilität und Unsicherheit durch politische Einmischung aus dem Ausland kommt. BRICS steht für eine breitere globale Bewegung zur Sicherung eines gesunden internationalen Handels und zur Förderung gegenseitigen Respekts zwischen den Nationen. (…) Die Spekulationen über die Notwendigkeit einer neuen internationalen Reservewährung haben zugenommen, doch um die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern, ist die Einführung einer solchen Währung nicht unbedingt erforderlich. Solange Länder vertrauensvoll in anderen Währungen als dem Dollar handeln können, können sie ihre Abhängigkeit vom Dollar verringern. In diesem Zusammenhang hat BRICS die Führung bei der Förderung der Verwendung mehrerer Handelswährungen übernommen und damit einen wachsenden Trend zur Verwendung lokaler Währungen bei internationalen Transaktionen gefördert. Die geringere Abhängigkeit vom politisierten US-Dollar und dem SWIFT-Zahlungssystem wird zur Stabilisierung des Welthandels beitragen und allen Ländern, einschließlich den Vereinigten Staaten, zugutekommen“, so die Chinesen.

Der Schweizerische Rundfunk (SRF) sieht im Kasaner BRICS-Gipfel vor allem eine symbolische Inszenierung, die für Gastgeber Wladimir Putin ein willkommenes Bild politischer Akzeptanz schaffe. Es heißt: „Nach all den Bildern, die ihn im Kreis anderer Mächtiger zeigen, lässt sich schwerlich behaupten, der Kreml-Herr sei weltweit ein Paria. (…) Substanziell haben sich die BRICS-Staaten aber auf wenig geeinigt.“ Russland und China möchten die Gruppe stärken, um den Westen zu konfrontieren, doch „gewichtige Mitglieder wie Brasilien und Indien wollen aus den BRICS nicht primär eine antiwestliche Kampftruppe machen“, so die Schweizer.
Kasaner Erklärung
Die Kasan-Erklärung stand unter dem Motto „Stärkung des Multilateralismus für gerechte globale Entwicklung und Sicherheit“ und umfasst 134 Punkte auf 33 Seiten. Sie betont die Notwendigkeit globaler Reformen und eine stärkere Vertretung der BRICS-Länder und anderer Schwellenländer in wichtigen internationalen Institutionen, insbesondere in den Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation (WTO).

In Punkt 8 unterstreicht die Erklärung eine Unterstützung für eine Reform des UN-Sicherheitsrats, um ihn repräsentativer, demokratischer und effizienter zu gestalten und die Interessen von Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika, besser zu berücksichtigen. Damit wird auf das Johannesburg II-Dokument von 2023 verwiesen, das ähnliche Forderungen stellt, sowie auf den sogenannten Ezulwini-Konsens und die Sirte-Erklärung, die Afrikas Anspruch auf stärkere Beteiligung untermauern.

Die BRICS-Nationen bekräftigen zudem ihre Unterstützung für ein offenes, transparentes und gerechtes Welthandelssystem, das auf Regeln basiert und vom WTO-Regelwerk getragen wird (Punkt 9). Sie lehnen unilaterale Handelsbeschränkungen ab und heben hervor, dass die WTO-Ministerkonferenz in Abu Dhabi (2023) wichtige Fortschritte erzielt habe, die konsequent umgesetzt werden müssten. Besondere und differenzierte Behandlungen für Entwicklungsländer sollen den Handel weiter fördern.

Eine zentrale Kritik der Kasan-Erklärung richtet sich gegen „unrechtmäßige unilaterale Zwangsmaßnahmen“, einschließlich Sanktionen, die die Weltwirtschaft und die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele beeinträchtigen (Punkt 10). Diese Maßnahmen würden den Grundsätzen der UN-Charta widersprechen und die wirtschaftliche Stabilität und das Wohlergehen von Entwicklungsländern gefährden, insbesondere im Hinblick auf Ernährung, Energieversorgung, Gesundheitsversorgung und Umweltschutz. Die BRICS-Staaten fordern die Abschaffung solcher Maßnahmen, die insbesondere den ärmsten Bevölkerungsgruppen schaden.

Russlands Präsident Wladimir Putin betonte die Notwendigkeit eines BRICS-Getreidehandelsplatzes (Punkt 10), der zukünftig auch den Handel mit Rohstoffen wie Öl und Gas umfassen könnte. Brasilien und Russland schlugen die Entwicklung von alternativen Zahlungssystemen vor, da das bestehende westlich dominierte Finanzsystem als unzureichend und fragil wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang spielt die Neue Entwicklungsbank (New Development Bank, NDB) eine Schlüsselrolle. Die NDB wurde als Alternative zum Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen Bretton-Woods-Institutionen gegründet, deren Reformbedarf laut den BRICS-Staaten dringend besteht.

In einem Appell rief die Erklärung zur Schaffung gemeinsamer Investitionsplattformen wie BRICS Clear auf, die gegenseitige Investitionen fördern und den Süd-Süd-Handel stärken sollen (Punkte 66 und 62). Der Vorschlag umfasst auch ein BRICS-weites Wertpapier- und Abrechnungssystem, das zu einer gemeinsamen Versicherungsplattform erweitert werden könnte. Außerdem wird der Einsatz lokaler Währungen in Handelsabwicklungen zwischen BRICS-Ländern begrüßt, um die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern.

In Bezug auf den Klimaschutz betont die Kasan-Erklärung das Engagement der BRICS-Staaten für die UN-Klimarahmenkonvention, das Kyoto-Protokoll und das Pariser Abkommen (Punkt 15). Die Prinzipien der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ seien einzuhalten. Einseitige Maßnahmen wie die Carbon Border Adjustment Mechanisms (CBAMs), die unter dem Vorwand von Klimaschutz erlassen werden, werden strikt abgelehnt, da sie Handel und Wettbewerbsfähigkeit stark einschränken (Punkt 83).

Experten im Kammer-Podcast zu BRICS
Im Podcast der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer „Zaren. Daten. Fakten.“ erläutert Dr. Simon Gerards Iglesias, wissenschaftlicher Referent am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), die Bedeutung des wachsenden Handels des Globalen Südens, insbesondere mit China und Russland. Die Transactional 25, ein Begriff, der von The Economist geprägt wurde, beschreibt die 25 wichtigsten Handelsnationen des Globalen Südens. Der Experte des Kölner IW erklärt im Podcast: „Diese Länder sind die ökonomisch und politisch bedeutendsten Länder des Globalen Südens. Darunter fallen Indien, Brasilien, Indonesien, aber auch Vietnam und Saudi-Arabien.“ Besonders seit 2020, so der Experte, habe sich der Handel unter den Ländern des Globalen Südens intensiviert. China nimmt dabei eine führende Rolle ein, während Russland ebenfalls eine bedeutende Stellung als Rohstofflieferant erlangt hat. „Seit 2020 ist China der wichtigste Handelspartner des Globalen Südens. Das Handelsvolumen beträgt mittlerweile 1,9 Bio. US-Dollar – das ist eine unglaubliche Zahl und zeigt die dynamische Rolle Chinas.“ China verdränge zunehmend den westlichen Einfluss. „Vor 2020 waren die USA und die EU noch wichtige Handelspartner dieser Länder, aber China hat seine Anteile massiv ausgebaut und den Westen abgelöst.“

Die russische Rolle unterscheidet sich etwas von der Chinas, doch ist sie ebenfalls nicht zu unterschätzen. Gerards Iglesias betont: „Russland liefert vor allem Rohstoffe und verarbeitete Produkte wie Öl und Düngemittel, die für Agrarökonomien wie Brasilien lebenswichtig sind.“ Auch durch die westlichen Sanktionen habe Russland gezwungenermaßen neue Handelswege gesucht und diese besonders im Globalen Süden gefunden.

Der wachsende Handel im Globalen Süden sei Teil einer bewussten geopolitischen Strategie, erklärt Gerards Iglesias weiter: „Die BRICS sind Plattformen, die als alternative Bündnisse zum Westen fungieren und den Ländern des Globalen Südens eine Stimme verleihen.“ Der Wirtschaftswissenschaftler hebt hervor, dass diese Handelsverlagerung zu mehr Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Stärke in diesen Staaten führt, da sie „nicht mehr auf die westlichen Märkte angewiesen sind, sondern innerhalb der BRICS und Globalen Süden-Netzwerke expandieren.“

Professor Jacques Sapir, Professor an der Pariser Eliteuniversität EHESS, beschreibt den BRICS-Gipfel im Kammer-Podcast als bedeutenden Fortschritt in der Integration der Mitgliedsländer. Er betont, „Es gibt einen Prozess der Konsolidierung der BRICS und der BRICS Plus.“ Ziel sei es, „spezifische Werkzeuge“ wie ein gemeinsames Abrechnungssystem und ein BRICS-eigenes Äquivalent zum SWIFT-System zu schaffen, wobei es laut Sapir bisher „nicht an technischen Möglichkeiten, sondern an politischen Fragen“ scheitert. Eine Orientierungshilfe bietet das Modell der „Europäischen Zahlungsunion (UEP), die von 1949 bis 1957 sehr erfolgreich war“ und eine zentrale Abwicklung der Handelsbilanzen zwischen Ländern ermöglichte. Ein solches System könnte auch bei BRICS helfen, Handelsbilanzüberschüsse effizient zu verwalten.

Sapir verweist auf die globalen Veränderungen, die durch BRICS ausgelöst wurden, und erklärt: „Das gemeinsame BIP der BRICS in Kaufkraftparität hat die G7 überholt.“ Bezüglich Saudi-Arabiens Rolle stellt er fest: „Saudi-Arabien handelt sein Öl jetzt größtenteils in Yuan,“ was die Abkehr vom Dollar verstärke und BRICS mehr Unabhängigkeit von westlichen Finanzsystemen verschaffe. Zusammenfassend sieht Sapir in der „konstanten, schrittweisen Integration“ der BRICS ein Wachstum an geopolitischem und ökonomischem Einfluss.
Geschichte der BRICS
Der Begriff BRICS geht ursprünglich auf die Formulierung BRIC von Jim O'Neill von Goldman Sachs aus dem Jahr 2001 zurück, der Brasilien, Russland, Indien und China als vielversprechende Schwellenländer für Investoren bezeichnete. Im Laufe der Zeit entwickelte sich BRICS jedoch zu einem Staatenbund. Die erste Konferenz fand 2009 in Jekaterinburg in Russland statt. 2010 beantragte Südafrika die Aufnahme und trat 2011 bei. Der erste gemeinsame BRICS-Gipfel konzentrierte sich auf wirtschaftliche Reformen, um den Einfluss der Schwellenländer zu stärken. Über die vergangenen 16 Jahre entwickelte sich die BRICS-Allianz zu einem globalen Gegengewicht zur westlich geprägten G7. Diese Rolle soll durch die Gründung der Neuen Entwicklungsbank (NDB) im Jahr 2014 in Shanghai gestärkt werden. Ziel dieser Bank, die mit einer Startsumme von 100 Mrd. Dollar und einem Reservefonds von über 100 Mrd. Dollar ausgestattet wurde, ist es, Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte in den Mitgliedsländern zu finanzieren und dabei die Abhängigkeit von westlich kontrollierten Institutionen wie dem IWF und der Weltbank zu reduzieren. Die frühere Präsidentin Brasiliens, Dilma Rousseff, übernahm am 24. März 2023 das Amt der Präsidentin der Neuen Entwicklungsbank. Laut einem Bericht von Reuters aus dem Jahr 2023 investiert die NBD nicht mehr in neue Projekte in Russland.

Quellen: Bloomberg (EN), Reuters 1, 2 (EN), ipg-journal, MERICS (EN), Bild, EY (EN), The Pioneer, x.com (EN), SRF, Xinhua (EN), Hindustan Times (EN), BBC (EN), commonspace (EN) ), Spiegel, SZ