Für den russischen Bankensektor war 2023 insgesamt ein gutes Jahr. Die Menge der von den Geldhäusern in Russland verwalteten Aktiva wuchs um genau ein Fünftel sowie ihr Eigenkapital um 18%. Ihr aggregiertes Portfolio aus Unternehmenskrediten wurde um 20%, die Summe der Darlehen an natürliche Personen sogar um 23% größer. Die kumulierten Guthaben der Geschäfts- und der Privatkunden der Banken stiegen im Jahresverlauf um 15% sowie 20%. Diese Zahlen sind auf der Website der Russischen Zentralbank abrufbar.
Nach Abzug von Dividenden erzielten russische Banken 2023 einen Gewinn von insgesamt 3,3 Bio. Rubel (36 Mrd. Euro). Dabei handelt es sich um einen Rekordwert des Nettogewinns des Bankensektors. Dieser sei auf höhere Kernerträge, geringere Aufwendungen für Rücklagen dank sinkenden Risikokosten sowie Gewinne aus der Währungsaufwertung zurückzuführen, heißt es dazu in der Januar-Ausgabe des Bankensektor-Berichts der Zentralbank. Der bisherige Rekord stammt aus dem Jahr 2021, als russische Banken insgesamt 2,4 Bio. Rubel (28 Mrd. Euro) verdient hatten.
Alexander Danilow, Leiter der Zentralbank-Abteilung für Bankenregulierung, bezeichnete das Rekordergebnis im vergangenen Jahr als „eine Art Überraschung“. Seinen Ausführungen zufolge erreichten die Nettozinserträge der russischen Banken 2023 annähernd sechs Billionen Rubel (66 Mrd. Euro), um 43% mehr als 2022. Die Nettoeinnahmen der Banken aus Gebühren und Provisionen stiegen um 20% auf 1,95 Bio. Rubel (21 Mrd. Euro). Es sei erfreulich, dass das Kreditportfolio stark gewachsen sei, obwohl gegen Ende des Jahres auch hohe Zinssätze eine Rolle gespielt hätten. Ein solches Geschäftswachstum bedeute, dass die Unternehmen mehr Kreditmittel erhielten, kommentierte Danilow.
Das gute Ergebnis des vergangenen Jahres sollte jedoch nicht isoliert von der schwachen Entwicklung des Bankensektors im Jahr 2022 betrachtet werden, geben die Autoren des Zentralbank-Berichts zu bedenken. Denn russische Banken hatten im vorvergangenen Jahr lediglich 203 Mrd. Rubel (2,9 Mrd. Euro) erwirtschaftet. Der Durchschnitt der Erträge des Sektors für die Jahre 2022–23 belaufe sich somit auf 1,7 Bio. Rubel (21 Mrd. Euro), um 27% weniger als 2021.
Für das laufende Jahr hatte Danilow im Januar prognostiziert, dass der Nettogewinn der Banken zwischen 2,3 und 2,8 Bio. Rubel (umgerechnet 23–28 Mrd. Euro) liegen würde, also deutlich unter dem Vorjahresrekord. Als Gründe hatte er damals wieder wachsende Rücklagen und schrumpfende Margen genannt. Anfang März stellte auch Zentralbank-Chefin Elwira Nabiullina diese Spanne in Aussicht, auch wenn sie feststellte, dass der Bankensektor sich vom Krisenjahr 2022 weitgehend erholt hatte.
Zuletzt hat sich die Zentralbank optimistischer gezeigt. Der Währungshüter gehe inzwischen davon aus, dass der Rekord von 2023 in diesem Jahr wiederholt oder leicht übertroffen werden könnte, erklärte Vizevorsitzender Olga Poljakowa am Dienstag. Alexander Danilow pflichtete ihr aber bei, dass die Rückstellungen der Finanzinstitute größer und die Margen geringer werden würden. Darüber hinaus habe die Zentralbank inzwischen die meisten Erleichterungen in Bezug auf die Rücklagenpflichten aufgehoben, welche sie 2022 eingeführt hatte. Den Gewinn der Banken werde das unweigerlich etwas dämpfen, so Poljakowa.
Die jüngste Prognose der Zentralbank-Vertreterin deckt sich mit der Vorhersage der zum Moskauer Medienholding RBC gehörenden Ratingagentur NKR, die ebenfalls diese Woche veröffentlicht wurde. Laut NKR könnten die Banken trotz des erwarteten Rückgangs der Nettozinsmarge und des Anstiegs der Risikokosten in diesem Jahr einen Nettogewinn zwischen 3,1 und 3,5 Bio. Rubel (31‑35 Mrd. Euro) erzielen. Voraussetzung dafür sei, dass neue makroökonomische Schocks sowie negative Neubewertungen von Währungen oder Wertpapieren ausblieben, stellen die NKR‑Analysten klar.
Aus der Statistik der Zentralbank folgt, dass im vergangenen Jahr neun von zehn Banken rentabel arbeiteten. Profitable Banken verwalteten 99% des gesamten Kundenvermögens. Beide Kennzahlen haben sich seit dem Krisenjahr 2022 erheblich verbessert, als der Anteil rentabler Banken 83% betrug und sie 77% des Gesamtvermögens verwalteten.
Die Sberbank, die größte Bank Russlands, verdiente im vergangenen Jahr so viel wie noch nie in ihrer Geschichte. Ihr Nettogewinn belief sich 2023 auf 1,49 Bio. Rubel (16 Mrd. Euro). Ihren bisherigen Rekord hatte das staatlich kontrollierte und seit 2022 vom Westen sanktionierte Finanzinstitut im Jahr 2021 erzielt: 1,25 Bio. Rubel (14 Mrd. Euro). Die Bank blieb auch im Krisenjahr 2022 rentabel, obwohl ihr damaliges Finanzergebnis von 300 Mrd. Rubel (4 Mrd. Euro) deutlich bescheidener war.
Laut Sberbank-Finanzdirektor Taras Skworstow steuere das Geldinstitut in diesem Jahr wieder auf einen Rekordgewinn zu. Ihm zufolge werde sich das Muster auch in den Folgejahren wiederholen. Das Erfolgsrezept der Bank liege im wachsenden Eigenkapital und der soliden Eigenkapitalrendite (EKR), so Skwortsow. Für 2023 wies die Sberbank eine EKR von 25,3% aus. Der englisch return on equity (ROE) bezeichnete Kennwert zeigt, wie sich das Eigenkapital innerhalb des Jahres verzinst hat.
Sberbank-Chef German Gref hatte im Dezember bekannt gegeben, dass das Geldhaus mittelfristig eine EKR von mindestens 22% anpeile. Wenn sie 2024 über diesem Zielwert bleibe, werde die Sberbank in der Lage sein, das Geschäft weiter auszubauen und hohe Dividenden zu zahlen, erklärte Skwortsow. Das Eigenkapital der Bank belief sich zum 1. Januar 2024 auf 6,3 Bio. Rubel (64 Mrd. Euro), um 4% mehr als ein Jahr zuvor.
Auf die Sberbank entfällt aktuell knapp ein Drittel der Vermögenswerte des russischen Bankensektors. Die von Zentralbank veröffentlichten Daten zur Verteilung der Banken-Assets zeigen, dass die Konsolidierung bzw. Vermögenskonzentration weitgehend abgeschlossen ist. Zum 1. Januar 2022 entfielen 77,9% der Gesamtaktiva auf die zehn größten Banken in Russland. Zwei Jahre später lag dieser Wert nur unwesentlich höher, bei 78,4%. Die Gesamtzahl der Banken ging in diesem Zeitraum geringfügig von 335 auf 324 zurück. Zum Vergleich: 2019 waren noch 440 Banken in Russland tätig.
Die Zahl der Finanzinstitute, die über eine Universalbanklizenz verfügen, sank 2022–23 von 234 auf 223. Diese Banken haben das Recht, ausländische Kunden zu bedienen und nicht nur Korrespondenzkonten im Ausland zu eröffnen. Die Anzahl der Banken, die mit einer Basislizenz operieren und diese Berechtigungen nicht haben, änderte sich in den vergangenen zwei Jahren kaum. Anfang 2022 hatte es 103 solcher Banken gegeben, zwei Jahre später waren es 100. Hinzu kommen die sogenannten Nichtbanken, die ein begrenztes Spektrum an Bankendienstleistungen erbringen dürfen. Vor zwei Jahren gab es in Russland 35 solcher Kreditgeber, während es heute 38 sind.
Bei der Betrachtung der Zentralbank-Statistiken fällt auf, dass die Eigenmittelausstattung der russischen Banken, auch Solvabilität genannt, in den Jahren nach dem Corona-Ausbruch insgesamt spürbar zurückgegangen ist. Hatte sich die Eigenkapitalquote der Banken, also das Verhältnis von deren Eigenkapital zur Bilanzsumme, zum 1. Januar 2020 auf 12,4% beziffert, so lag sie vier Jahre später um vier Prozentpunkte tiefer. Dafür hauptverantwortlich dürften die vorübergehenden Lockerungen der Eigenkapitalanforderungen gewesen sein, welche die Zentralbank erst wegen Corona und später im Zuge der Sanktionskrise einführte.