Kanzlerkandidaten zu Sanktionen, Ukraine-Konflikt und russischen Gaslieferungen
Bei der Bundestagswahl am kommenden Sonntag treten die Parteien mit ihren Spitzenkandidaten an. Der neue Kanzler wird maßgeblich den künftigen Russland-Kurs der EU mitbestimmen. Im Folgenden können Sie nachlesen, was die Kanzlerkandidaten der Parteien im Wahlkampf über Sanktionen gegen Russland, den Ukraine-Konflikt und russische Gaslieferungen gesagt haben.
Union (CDU/CSU): Friedrich Merz, 69 CDU-Vorsitzender (2022-2025), CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag (2000-2002).
In seiner Grundsatzrede beim Körber Global Leaders‘ Dialog 2025 warnte Merz vor Russlands außenpolitischem Kurs.
„Die europäische Sicherheitsarchitektur der letzten Jahrzehnte existiert nicht mehr. Unsere eigene Sicherheit ist akut bedroht durch Russland.“ (CDU, 23.01.2025)
Diesen Gedanken führt Merz in einem Interview weiter aus.
„Die Nato muss sich darauf einstellen, dass die Bedrohung durch Russland beständig größer wird. Die Aufrüstung in Russland übersteigt jedes Maß einer notwendigen eigenen Verteidigung. Das ist eine offensive Militärstrategie, die darauf ausgerichtet ist, mit militärischer Gewalt Geländegewinne zu erzielen, Territorium "zurückzuerobern", wie es in der Terminologie von Putin heißt. Er schaut vor allem auf Länder in den früheren Grenzen der Sowjetunion. Und dazu gehören mittlerweile Nato-Staaten wie die baltischen Länder. Dazu gehört Polen.“ (Zeit, 06.02.2025)
Auf die Frage, ob Russland künftig Soldaten für eine Friedensmission in die Ukraine schicken soll, antwortete Merz in einem Interview:
„Diese Frage stellt sich aus heutiger Sicht nicht, denn Putin ist erkennbar nicht verhandlungsbereit. Es muss klar sein und wahr bleiben: Deutschland wird nicht Kriegspartei in diesem Konflikt. Das ist meine Prämisse.“ (Zeit, 06.02.2025)
SPD: Olaf Scholz, 66 Bundeskanzler (2021-2025), Vizekanzler und Bundesfinanzminister (2018-2021), Erster Bürgermeister von Hamburg (2011-2018), Bundesminister für Arbeit und Soziales (2007-2009).
Im vergangenen November telefonierte Scholz zum ersten Mal seit zwei Jahren mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
„Ich habe mit Präsident Putin telefoniert und ihn aufgefordert, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden und seine Truppen zurückzuziehen. Russland muss Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ukraine zeigen – mit dem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens.“ (X, 15.11.2024)
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Samstag bekräftigte Scholz die Unterstützung der Ukraine.
„Ein Sieg Russlands oder ein Zusammenbruch der Ukraine würden deshalb keinen Frieden schaffen, sondern Frieden und Stabilität weiter in Gefahr bringen, in Europa und darüber hinaus. Frieden gibt es nur, wenn die Souveränität der Ukraine gesichert ist. Ein Diktatfrieden wird deshalb niemals unsere Unterstützung finden.“ (Bundesregierung, 15.02.2025)
Er bezog sich auch auf die militärische Unterstützung der Ukraine, sollte der Konflikt beigelegt werden.
„Die Ukraine muss am Ende jeder Verhandlungslösung über Streitkräfte verfügen, mit denen sie jeden erneuten russischen Angriff abwehren kann. Finanziell, materiell und logistisch wird das eine enorme Herausforderung. (…) Dafür werden wir Europäer, aber eben auch die transatlantischen und internationalen Partner der Ukraine weiterhin gebraucht, so wie wir bisher große Lasten gemeinsam geschultert haben. (Zeit, 06.02.2025)
Die Grünen: Robert Habeck, 55 Vizekanzler und Wirtschaftsminister (2021-2025), Co-Vorsitzender der Grünen (2018-2022).
In einem Interview mit der Zeit erklärte Habeck, dass es im Ukraine-Konflikt auch um die Sicherheitsinteressen Deutschlands gehe.
„Die Unterstützung der Ukraine ist aus meiner Sicht nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch eine unserer Sicherheitsinteressen. Wenn Putin Erfolg hat, wird er weitermachen und an anderen Stellen wieder Konflikte, wieder Kriege vom Zaun brechen.“ (Zeit, 06.02.2025)
Den Ukraine-Konflikt bezeichnete Habeck als „Abnutzungskrieg“, allerdings braucht die Ukraine nach seiner Ansicht weiterhin militärische Unterstützung.
„Wir erleben einen fürchterlichen Abnutzungskrieg, der uns an den Ersten Weltkrieg erinnert. Es geht derzeit darum, zu verhindern, dass die Front in der Ukraine zusammenbricht. Die Ukrainer sollten aus einer Position der Stärke heraus über einen Frieden verhandeln können.“ (Zeit, 06.02.2025)
In einem Video auf der Plattform X sprach sich Habeck im Frühjahr 2024 gegen ein Einfrieren des Ukraine-Konflikts aus.
„So sehr ich verstehe, dass angesichts der hohen Opferzahlen von einem Einfrieren des Krieges gesprochen wird, so sehr blendet diese Position aus, dass nur die Ukrainerinnen und Ukrainer entscheiden können, welchen Preis sie zu zahlen bereit sind und zu welchen Bedingungen sie einen Waffenstillstand erreichen oder den Krieg beenden wollen.“ (RND, 30.03.2024)
AfD: Alice Weidel, 46 Co-Bundessprecherin (seit 2022), Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion (seit 2017), Unternehmensberaterin.
In einem Interview mit der Zeit erklärte Weidel, dass die russischen Sicherheitsinteressen in der Vergangenheit nicht berücksichtigt worden seien.
„Der Krieg in der Ukraine muss allein schon im deutschen Sicherheitsinteresse umgehend beendet werden. Wir haben in der Vergangenheit zu wenig getan, um die Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen. Jetzt müssen sowohl die russischen Interessen als auch die der Ukraine berücksichtigt werden, sonst ist ein Friedensvertrag nicht möglich. Wir selbst haben allerdings die Kontrolle darüber verloren, diesen Krieg zu beenden. Das deutsch-französische Tandem und die EU sind nicht stark genug. Jetzt ist Donald Trump gefordert, diesen schrecklichen Krieg gemeinsam mit Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj zu beenden.“ (Zeit, 06.02.2025)
Im selben Gespräch bezog sich Weidel auf Energie aus Russland:
„Die Kosten für den Harakiri-Kurs der Sanktionen trägt die Bevölkerung. Wir haben mit die höchsten Energiekosten weltweit, das wissen Sie. Das erzeugt Inflation. Wir müssen unabhängiger sein, und das geht nur über Kernkraftwerke. Das ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass wir selbstbewusster mit den USA umgehen müssen. Die USA waren immer gegen Nord Stream 2. Wir haben es trotzdem getan, und wir haben auch heute ein Interesse an günstiger Energie aus Russland.“ (Zeit, 06.02.2025)
Weidel betonte die Rolle der USA in den Ukraine-Verhandlungen.
„Es ist klar, dass Russland auch etwas zur Kriegsbeendigung geben muss, ebenso wie die Ukraine. Es ist dasselbe Problem wie in jedem Krieg. Putin wie auch Selenski fürchten einen Gesichtsverlust. Es braucht einen Dritten, einen Mediator. Und wir können alle froh sein, dass wir jetzt einen sehr starken amerikanischen Präsidenten haben, der den Krieg beenden kann.“ (Zeit, 06.02.2025)
FDP: Christian Lindner, 46 FDP-Vorsitzender (seit 2013), Bundesfinanzminister (2021-2024).
Lindner hat in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger den russischen Präsidenten als eine Gefahr für Europa bezeichnet.
„Es geht Putin nicht nur um die Ukraine, er will die Friedens- und Freiheitsordnung in Europa verändern. Er will Macht über uns, um unsere Lebensweise und unseren Wohlstand zu kontrollieren.“ (Christian Lindner, 03.03.2024)
In einem Zeit-Interview sprach Lindner von Deutschlands Sicherheitsinteressen.
„Für uns ist es von überragender sicherheitspolitischer Bedeutung, dass Putin seine Kriegsziele nicht erreicht. Sollte er sie erreichen, wäre das eine Erschütterung der internationalen regelbasierten Ordnung. Andere in der Welt könnten sich ebenfalls eingeladen fühlen.“ (Zeit, 06.02.2025)
Lindner sprach sich für die umstrittenen Taurus-Lieferungen aus.
„Das Waffensystem Taurus hätte Deutschland längst liefern müssen. Die Ukraine verdient Vertrauen, dass sie ein solches Waffensystem nur in der Weise einsetzt, wie man es mit ihr verabredet.“ (Zeit, 06.02.2025)
Die Linke: Jan van Aken, 63 Co-Parteichef der Linken (seit 2024), Biowaffen-Inspekteur für die Vereinten Nationen (2002-2004).
Jan van Aken warnte in einem Interview vor einem falschen Frieden in der Ukraine.
„Durch einen schmutzigen Deal mit dem Kreml kurzfristig vielleicht ja. Die Ukraine einfach fallen lassen bringt Frieden – das wäre aber ein Diktat-Frieden, der das Völkerrecht mit Füßen tritt und langfristig nicht halten wird. Wenn Trump dauerhaft Druck auf den Kreml ausübt, dann gibt es vielleicht die Chance auf einen gerechten Frieden. Es kann aber auch sein, dass er uns in eine große Konfrontation führt.“ (Zeit, 06.02.2025)
Nach Ansicht des Linken-Spitzenkandidaten machen Waffenlieferungen an die Ukraine Deutschland zu keiner Kriegspartei.
„Krieg ist für mich dann, wenn etwa Nato-Truppen gegen russische Truppen im Feld stehen, aber das ist nicht der Fall. Ich teile auch ausdrücklich nicht die Auffassung des BSW, die sagen: Wenn wir jetzt diese oder jene Waffe an die Ukraine liefern, dann ist Deutschland Kriegspartei. Sind wir nicht. Also: Nein, wir sind nicht im Krieg.“ (Zeit, 06.02.2025)
Die Linke plant in der kommenden Legislaturperiode die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag, der die deutsche Energieabhängigkeit von Russland in der Vergangenheit untersuchen soll. Jan van Aken äußerte sich dazu wie folgt:
„Wir müssen klären, wie Deutschland in diese dramatische Energieabhängigkeit von Russland gekommen ist. Damit wir nach der Gazprom-Falle nicht kopflos in die Trump-Falle mit seinem schmutzigen, teuren Fracking-Gas stolpern, also in die nächste Abhängigkeit.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.12.2024)
BSW: Sahra Wagenknecht, 55 BSW-Gründerin- und Vorsitzende (seit 2024), Fraktionschefin der Linken (2015-2019).
Wagenknecht sieht die größte Gefahr in einer Ausweitung des Ukraine-Konflikts.
„Die größte Gefahr ist, dass wir in einen Krieg mit Russland hineintaumeln. Wir müssen alles tun, das zu verhindern.“ (Zeit, 06.02.2025)
Die Politikerin übt Kritik an der Energie-Abhängigkeit Deutschlands von anderen Großmächten.
„Auch die Wirtschaftssanktionen, durch die wir unsere Abhängigkeit vom preiswerten russischen Gas durch eine Abhängigkeit vom teuren amerikanischen Gas ersetzt haben, sind ein Konjunkturprogramm für die amerikanische Wirtschaft und ein Killerprogramm für unsere Industrie.“ (Zeit, 06.02.2025)
Sie geht auf die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Russland ein.
„Deutsche Soldaten an die ukrainisch-russische Grenze zu schicken, wäre völlig geschichtsvergessen. Deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg in Russland und der Ukraine einen beispiellosen Vernichtungskrieg geführt, in dem zwanzig Millionen Menschen ermordet wurden. Das ist ein historisches Trauma in Russland, und trotzdem hat man später den Deutschen wieder die Hand gereicht. Dass heute wieder mit deutschen Raketen, deutschen Panzern auf russische Soldaten geschossen wird, ist schlimm genug.“ (Zeit, 06.02.2025)
Russische Experten zur Bundestagswahl
Artjom Sokolow, Senior Researcher,Moskauer Staatliches Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) „Der Stand der deutsch-russischen Beziehungen wird ein Indikator für die Effizienz der neuen Bundesregierung sein. Gerade im Dialog mit Moskau wird die deutsche Führung ihre vitalen Interessen verteidigen müssen. Berlins destruktiver Kurs, den Bruch mit Russland zu zementieren, wird das Vertrauen der transatlantischen Verbündeten nicht stärken, sondern untergraben, denn er zeugt von mangelnder strategischer Zielsetzung.“ (Expert, 18.02.2025)
„Die Oppositionsparteien Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stehen für eine Normalisierung der deutsch-russischen Beziehungen. Auch wenn es keine der beiden Parteien in die Regierung schafft, zeigen ihre Umfragewerte, dass etwa ein Drittel der deutschen Wähler den derzeitigen Konfrontationskurs Berlins nicht unterstützt.“ (Expert, 18.02.2025)
Anna Bogatschowa, Politologin „Die für den 23. Februar angesetzte vorgezogene Bundestagswahl ist das Resultat einer langwierigen politischen Krise in Deutschland. (…) Für Russland ist der Wahlausgang in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen geht es um die Position Deutschlands bei den Verhandlungen im Ukraine-Konflikt. Berlin bleibt einer der Hauptakteure in dieser Auseinandersetzung und von der Zusammensetzung des Bundestags könnte das Ergebnis der Verhandlungen abhängen. (…) Zum anderen geht es um die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen. Mit Vorsicht lässt sich sagen, dass im neuen Bundestag eine Debatte über die Aufhebung einzelner Sanktionen gegen russische Bürger beginnen könnte.“ (Nos, 06.01.2025)
Wjatscheslaw Philippow, Redaktionsleiter der Nachrichtenagentur TASS in Deutschland „Aus meiner Sicht können Scholz derzeit nur zwei Dinge zu einem politischen Wunder in Form eines Sieges der Sozialdemokraten verhelfen. Entweder vollzieht sich im Ukraine-Konflikt eine schlagartige Wende oder Merz leistet sich einen großen Patzer. Der CDU-Spitzenkandidat ist in der Bevölkerung unbeliebt, das wirkt sich aber nicht sonderlich auf die Umfragewerte der CDU/CSU aus.“ (TASS, 13.01.2025)
Jewgenia Pimenowa, Germanistin und Politikwissenschaftlerin „Die AfD wird wohl auch nach den Wahlen eine große Oppositionspartei bleiben. Mit ihren populistischen Äußerungen zu Nord Stream 2 und der Aufhebung von Russland-Sanktionen versucht die AfD, Wählerstimmen zu gewinnen. Es besteht keine Chance, dass der AfD demnächst eine ‚politische Revolution‘ gelingen wird.“ (Izvestia, 03.02.2025)
„Es stellt sich die Frage, inwieweit die etablierten Parteien in der Lage sind, die aktuellen Wirtschaftsprobleme zu lösen. Je geringer das Potenzial der ‚Volksparteien‘, desto schärfer die Rhetorik der AfD. Und je mehr Stimmen diese Partei von den Wählern bekommt, desto größer wird die Spaltung im Land sein. (…) Es gibt aber keinen Grund zur Annahme, dass der antirussische Kurs geändert wird.“ (Izvestia, 03.02.2025)
🔎 In unserer Fokusanalysedavor haben wir uns mit den Wahlprogrammen der deutschen Parteien befasst, hinsichtlich ihrer Positionen zu Sanktionen, einem EU-Beitritt der Ukraine und einer Wieder-Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream.