Fokusanalyse

Putin über Wirtschaftspolitik und deutsche Unternehmen in Russland

Präsident Wladimir Putin hatte die aktuelle Ausrichtung der russischen Politik gegenüber Investoren aus seit 2022 als „unfreundlich“ geltenden westlichen Ländern erstmals im Juni 2023 beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg mit den Worten zusammengefasst: „Diejenigen ausländischen Unternehmen, die weiter in Russland arbeiten, werden wir wie unsere eigenen Unternehmen behandeln.“

„Letztes Jahr wurde uns prophezeit, dass Russland unter dem Druck der Sanktionen zu einem geschlossenen, zentralplanerischen Wirtschaftsmodell zurückkehren würde. Wir haben uns aber für eine Ausweitung der unternehmerischen Freiheiten entschieden, und das praktische Leben hat gezeigt, dass wir absolut richtig gehandelt haben“, sagte Putin in seiner damaligen Grundsatzrede.

Der Präsident dürfte dabei unter anderem auf die 2022 getroffene Entscheidung angespielt haben, nicht spiegelbildlich auf die Visa-Beschränkungen der EU zu antworten. Dazu hatte er beim Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok im September 2022 erklärt, dass es nicht im russischen Interesse sei, das diplomatische Prinzip der Reziprozität auch bei den Visa anzuwenden. Nicht nur Studierende, Sportler und Kulturschaffende, sondern auch Geschäftsleute sollten weiterhin ungehindert nach Russland kommen können, auch wenn sie aus „unfreundlichen“ Ländern stammten, so Putin damals.

„Ein bemerkenswertes Ereignis und ein starker Anreiz für unsere Wirtschaft war die Ablösung transnationaler Konzerne, die den russischen Markt verlassen haben. Leider waren sie nicht in der Lage, dem starken politischen Druck ausländischer politischer Eliten zu widerstehen“, monierte der Präsident neun Monate später.

„Wir haben niemanden aus unserem Markt, aus unserer Wirtschaft verdrängt. Wir haben [ausländischen Unternehmen] im Gegenteil vorgeschlagen, das Für und Wider abzuwägen, gründlich über ihre russischen Partner und die möglichen Folgen eines Rückzugs nachzudenken. Sie alle hatten das Recht zu wählen.“

Anschließend kam der aus Sicht der internationalen Wirtschaftsvertreter besonders wichtiger Passus:
„In Gesprächen mit Vertretern der russischen Wirtschaft ist immer häufiger die Bitte zu hören, „wandernden“ ausländischen Unternehmen keine Marktrückkehr zu ermöglichen. […] Wenn ausländische Erzeuger aber tatsächlich auf unseren Markt zurückkehren wollen, wovon wir zuletzt immer öfter gehört haben, werden wir uns niemandem verschließen. Denn niemand hat Angst vor dem Wettbewerb: Er ist bekanntlich der Motor des Fortschritts und des Handels. Wir werden die notwendigen Bedingungen schaffen, damit auch ausländische Firmen in Russland arbeiten können.“

„Aber wir werden sicherlich die Besonderheiten des Verhaltens einiger dieser Partner in der Zukunft berücksichtigen, und natürlich werden wir die Interessen unserer heimischen Wirtschaft immer an die erste Stelle setzen“, fügte Putin einschränkend hinzu.

Jüngste Äußerungen Putins zur Politik gegenüber westlichen Unternehmen
Vergangene Woche kommentierte der russische Präsident einmal mehr die Präsenz von westeuropäischen und amerikanischen Unternehmen auf dem russischen Markt. Rund die Hälfte der westlichen Unternehmen, die in Russland vor 2022 aktiv gewesen waren, ist es laut Putin immer noch. Einige Firmen hätten die Geschäftsführung an „von ihnen kontrollierte Personen und Organisationen übertragen“. Etwa ein Viertel der Unternehmen habe sich „tatsächlich zurückgezogen“. Weitere würden sich gegenwärtig um einen Russland-Rückzug bemühen, darunter auch einige große deutsche Unternehmen. Russland seinerseits habe „niemanden vertrieben“ oder von seinem Markt verdrängt, so Putin.

Der russische Präsident äußerte dies bei dem von der Staatsbank VTB organisierten Forum „Russland ruft!“, welches am vergangenen Mittwoch zum fünfzehnten Mal in Moskau tagte. So reagierte er auf die Frage des deutschen Vermögensverwalters André Barendregt, ob Russland denjenigen deutschen und europäischen Unternehmen, die es zuletzt verlassen hätten, eine „zweite Chance“ geben würde, wenn sie künftig zu einer Marktrückkehr in der Lage wären.

„Wir werden keine besonderen Bedingungen schaffen. Wir haben niemanden rausgeworfen oder verbannt, unsere Türen sind offen,“ setzte Putin seine Antwort fort.

„Sehr viele Nischen, die durch das Ausscheiden unserer europäischen Partner frei geworden sind, sind in den vergangenen zwei Jahren aktiv von Unternehmen aus anderen Ländern besetzt worden.“

Dass der Rückzug westlicher Unternehmen viele Marktnischen und Perspektiven eröffne, hatte Putin bereits im Februar 2023 geltend gemacht.

Auch russische Marken, deren Zahl um ein Vielfaches zunehme, befänden sich auf dem Vormarsch, sagte er vergangene Woche. Die Importsubstitution erfolge in einem „sehr schnellen Tempo“, das selbst die ursprünglichen russischen Erwartungen übertreffe. „Daher wird es [für die Firmen, die den Markt verlassen haben] ziemlich schwierig sein, einfach auf die früheren Plätze zurückzukehren. Wir aber werden keine besonderen Hindernisse aufbauen“, versprach Putin.

Eine wichtige Rolle in Putins Rede beim Forum „Russland ruft!“ und in der anschließenden Frage-Antwort-Runde spielte das Thema „Investitionsklima“. „Wir verfügen über eine ganze Reihe von Instrumenten, die ein sehr gutes Niveau und eine gute Atmosphäre für unsere potenziellen Investoren schaffen. In erster Linie geht es dabei um Garantien für den Erhalt des investierten Kapitals und den Erhalt der Erträge aus diesen Investitionen. Wir werden diese beiden Hauptbereiche sicherlich weiterentwickeln und unterstützen“, versicherte der Präsident.

Er erinnerte die Forumsteilnehmer an die ehemals engen deutsch-russischen Beziehungen:
„Zu Deutschland hatten wir jahrzehntelang sehr gute Beziehungen, wir hatten uns immer sehr gut verstanden. Das Besondere an den Investitionen deutscher Unternehmen war, dass sie nicht auf das schnelle Geld aus waren, sondern langfristig in die russische Industrie investierten.“

Dass Putin sich gern wieder einen intensiveren Wirtschaftsaustausch mit Deutschland wünschen würde, hatte er auch während seines Telefonats mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 15. November durchblicken lassen, ist dem entsprechenden Bericht auf der Kreml-Website zu entnehmen.

Anhand der jüngsten Äußerungen des Präsidenten lässt sich feststellen, dass sich seine Haltung gegenüber ausländischen und westlichen Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren nicht verändert hat. Wenn eine Firma trotz westlicher Sanktionen ihre Bereitschaft bekunde, in Produktion in Russland zu investieren, und dies auch tue, dürfe sie unter den aktuellen Vorzeichen damit rechnen, dass sie von den russischen Behörden im Grundsatz ähnlich wie eine einheimische behandelt werde, so die Schlüsselbotschaft.

Wirtschaftspolitische Aussagen der russischen Regierungs- und Wirtschaftsvertreter
Der russische Präsident äußerte sich beim Forum „Russland ruft!“, an dem auch sein Wirtschafts-berater Maxim Oreschkin, zahlreiche Minister, die Zentralbankchefin Elwira Nabiullina und Unternehmenschefs teilnahmen, zu den aktuellen Problemen der russischen Wirtschaft wie Inflation und hoher Leitzins.

Der Präsident bekannte sich zwar zu einem „langfristigen und nachhaltigen Wirtschaftswachstum“, das Investitionen in Produktionsmodernisierung und Arbeitsproduktivität erfordere. Gleichzeitig plädierte er dafür, das Gleichgewicht zu halten und übermäßige Preissteigerungen zu dämpfen. Das derzeitige Inflationsniveau von 8,8% sei im Vergleich zu dem in den führenden Volkswirtschaften sowie dem Vorjahreswert von 7,5% „ziemlich hoch“. Um die Inflation zu bremsen, seien die Regierung und die Zentralbank angehalten, „koordiniert und gemeinsam zu handeln“. Das sei auch bereits der Fall.

Putin stellte sich hinter die jüngste Entscheidung der Zentralbank vom Ende Oktober, als sie den Leitzins von 19% auf 21% anhob. Der Währungshüter habe sich dazu gezwungen gesehen, so der Präsident. „Es gibt auch Kritiken, viele Kritiken, die sagen, das würge die Wirtschaftsentwicklung ab. Andererseits gibt es Fachleute, die sagen, dass das unvermeidlich sei. Es gibt solche, die sagen, dass ein 21% Leitzins bei 8,8% Inflation zu hoch sei. Ich werde jetzt nicht darauf eingehen, ob das gut oder schlecht ist. Ich möchte nur sagen, dass hierdurch sicher bestimmte Schwierigkeiten für Unternehmen in der Realwirtschaft entstehen, die aber weiterhin Kredite aufnehmen.“

„Diejenigen Menschen, die sich keine Bankkonten leisten können, leiden stärker unter einer hohen Inflation. Das heißt, die Einkommensschwachen tragen die Hauptlast der steigenden Preise. Sie haben keine Bankeinlagen und erhalten kein zusätzliches Einkommen. Wir haben doch viele solche Menschen, die keine fetten Konten besitzen, ja sie sind vielleicht in der Mehrheit.“

Auch Präsidentenberater Maxim Oreschkin verwies beim Forum darauf, dass der Löwenanteil der Bankeinlagen einem „sehr beschränkten Kundenkreis“ gehörte. Die gestiegenen Einlagenzinsen kämen also nur einer „kleinen Bevölkerungsgruppe“ zugute. Auch wenn ein hoher Leitzins die Nachfrage und die Kreditvergabe abkühle, führe sie auch zu einer ungerechten Einkommens-verteilung in der Bevölkerung. Viele Beobachter werteten diese Aussagen Oreschkins als eine versteckte Kritik der restriktiven Geldpolitik der Zentralbank.

Unter den Wirtschaftsvertretern geriet die konservative Geldpolitik der russischen Zentralbank in den vergangenen Wochen jedenfalls stärker in die Kritik als zuvor. So berichtete die Wirtschafts-zeitung Vedomosti Mitte November von einer Stellungnahme des russischen Industriellen- und Unternehmerverbandes RSPP zum Strategiepapier der Zentralbank für die kommenden drei Jahre. Darin wünscht sich RSPP ein Mitspracherecht der Regierung in der Geldpolitik der Zentralbank, indem das Zentralbank-Gesetz so geändert werden solle, dass die Zentralbank ihr grundlegendes Strategiepapier mit der Regierung abstimmen müsste.

Diese könnte dann die Geldpolitik daraufhin prüfen, ob sie mit Zielen der Regierung vereinbar sei, und notfalls korrigieren, so der Vorschlag von RSPP. Beispiele für solche Ziele seien die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die Stärkung der staatlichen Souveränität, das Wachstum der Bevölkerung und die Steigerung der Lebensqualität. Vedomosti deutet den Vorschlag dahingehend, dass die Regierung ein Mitspracherecht bei der Festsetzung des Leitzinses erhalten solle. Die Zentralbank wies den Vorstoß zurück, da er ihre Unabhängigkeit beschneiden würde. Das sei in Zeiten hoher Inflation „doppelt gefährlich“, so ein Sprecher.

Zuvor hatte Sergej Tschemesow, der Chef von Russlands größtem Mischkonzern Rostec, die Leitzinspolitik der Zentralbank scharf kritisiert. Die Bedienung von Schuldverpflichtungen auf dem derzeitigen Zinsniveau erfordere eine Rentabilität, die nicht einmal im Waffenhandel gegeben sei, sagte Tschemesow vor dem Föderationsrat. Ihm zufolge sehe sich unter den vorherrschenden Bedingungen selbst Rostec gezwungen, die Exporte von High-Tech-Produkten zu verringern. Das sehr hohe Zinsniveau sei „eine ernsthafte Bremse für das weitere industrielle Wachstum“, die die Gefahr einer Stagflation real mache, wenn Produktion und Verbrauch gleichzeitig sänken.

Ende November holte der Rostec-Chef gegen die Zentralbank-Politik erneut aus. „Ich möchte das Problem mit den Exporten betonen, denn der größte Teil der Produkte, die wir herstellen und die exportiert werden können, sind Produkte mit einem langen Produktionszyklus ab einem Jahr. Es ist klar, dass bei einem Exportvertrag die Vorauszahlungen etwa 20-30% betragen, nicht mehr. Der Rest muss geliehen werden. Beim aktuellen Leitzins ist das natürlich Wahnsinn: Jeder Vertrag wird unrentabel. Und ich denke, dass wir heute wahrscheinlich die Exporte stoppen müssen, zumindest für die Produkte, die eine lange Produktionszeit haben. Dies ist in der Luftfahrt, in der Luftverteidigung, im Schiffbau der Fall“, sagte Tschemesow.

Rostec verfüge nicht über genügend eigenes Betriebskapital, um diese Güter zu produzieren, fügte er hinzu. „Die Aufnahme von Krediten zu einem enormen Zinssatz bedeutet hingegen, dass wir in kurzer Zeit bankrott sein werden, wir werden wieder mit ausgestreckter Hand zur Regierung kommen und sagen: Gebt uns Geld, um unsere Produktion zu retten“, beklagte Tschemesow. Die Regierung ergreife Maßnahmen zur Unterstützung der Industrie. Es handle sich um zinsgünstige Kredite und Zinssubventionen, räumte er ein. Dies betreffe aber in erster Linie nationale Verteidigungsprojekte. Alle anderen Unternehmen habe der Staat sich selbst überlassen.

Quellen: Kremlin 1, 2, 3, RBC, Vedomosti, Interfax 1, 2 (alle RU)
2024-12-09 17:20