Fokusanalyse

Russischer Wohnungsmarkt: Miete statt Eigenheim

Hintergrund

Das aktuelle hohe Leitzinsniveau in Russland schreckt viele Interessenten von einem Wohnungskauf ab: Immer weniger Menschen sind bereit, sich ungünstige Hypothekendarlehen aufzubürden. Stattdessen wohnen viele erst einmal zur Miete und verschieben den Traum vom Wohneigentum auf bessere Zeiten. Den Nachfragerückgang bei Neubauwohnungen spüren vor allem die Baufirmen.

Weniger Vorzugsdarlehen
Der jährliche Zinssatz für eine Hypothek betrug im vergangenen Jahr 28%. Laut Wohnungsmarktexperten liegt der derzeitige Hypothekenzinssatz zwischen 22,5% und 30%, der höchsten Spanne seit 2012. Der Leiter des Finanz- und Versicherungsportals Srawni Dmitrij Sawronow sagt auch für dieses Jahr einen Hypothekenzins im Bereich von 28-29% voraus. Sollte es dabei bleiben, so könnten potenzielle Wohnungskäufer erst Ende 2026 und Anfang 2027 mit moderateren Hypotheken rechnen, sagt Sawronow.

78% der Verträge auf dem Immobilienmarkt würden im Rahmen von Vorzugsdarlehen abgeschlossen, erklärt Wladislaw Plitin, Finanzberater bei der Moskauer Investmentgesellschaft Fontvielle. Auch wenn das prozentuell im Vergleich zu 2023, als dieser Marktanteil mit 40% etwas mehr als die Hälfte ausmachte, von einem vermeintlichen Anstieg solcher Deals zeugt, deuten die Zahlen des Finanzinstituts für die Entwicklung des russischen Wohnungswesens DOM.RF auf eine Abkühlung hin. In den ersten drei Februar-Wochen 2025 wurden Vorzugsdarlehen im Wert von 160 Mrd. (1,7 Mrd. Euro) vergeben. Ein leichter Rückgang zum Vorjahreszeitraum (176 Mrd. Rubel, 1,9 Mrd. Euro) – und ein eklatanter im Vergleich zu 2023, als in der zweiten Jahreshälfte im Schnitt monatlich Vorzugsdarlehen im Wert von 350 Mrd. Rubel (3,7 Mrd. Euro) gewährt wurden.

Im Sommer 2024 ist das große staatliche Förderprogramm ausgelaufen, das seit 2020 Wohnungskäufe zu einem jährlichen Zinssatz von 8% in Russland möglich machte. Dennoch werden weiterhin Vorzugsdarlehen vergeben, darunter die Familienhypothek sowie die Hypothek für IT-Fachkräfte – beide mit einem Zinssatz von 6%. Diese Programme laufen bis 2030. Nach Angaben der russischen Zentralbank betrug die durchschnittliche Laufzeit eines Hypothekendarlehens im vergangenen Februar 25 Jahre und 10 Monate – vier Monate länger als noch im Januar.

Mietwohnungen im Trend
Der Markt für Mietwohnungen hat in den vergangenen zwei Jahren an Bedeutung gewonnen. Der Zufluss neuer Kunden, die angesichts horrender Hypothekenzinsen lieber eine Wohnung mieten, trägt zum Aufschwung bei. Nach Angaben von DOM.RF ist das Angebot an Mietwohnungen im Abschlussquartal 2024 um 45% und im ersten Quartal dieses Jahres um weitere 23% gestiegen. Laut Berechnungen von Analysten umfasst dieser Markt zurzeit 101.000 Wohnungsangebote – im dritten Quartal 2023 hatte die Zahl noch bei 41.000 Mietwohnungen gelegen.

Waren noch im vergangenen Jahr in vielen russischen Großstädten steigenden Mietpreise zu beobachten, so zeigt der Wohnmarkt für die ersten drei Monate 2025 eine Tendenz zum Preisrückgang. In Jekaterinburg beispielsweise ist der Mietzins um 13% auf 40.300 Rubel (430 Euro) im Monat gesunken. Ebenfalls 13% weniger mussten Mieter im Schnitt für Wohnungen im südrussischen Wolgograd zahlen (29.300 Rubel, 313 Euro). In Moskau ist der Mietzins im ersten Jahresquartal auf 91.000 Rubel zurückgegangen (-10%), in Rostow am Don – auf 35.900 Rubel (-10%).

Neubauwohnungen werden teurer
Die Nachfrage nach Neubauwohnungen ist 2024 russlandweit um 22% gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, belegen Zahlen des russischen Beraterunternehmens Macon. Nach Angaben der Plattform für Immobilienanzeigen Cian haben sich Neubauwohnungen in russischen Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern im ersten Quartal 2025 um 3,5% verteuert – der Durchschnittpreis pro Quadratmeter betrug 160.900 Rubel (1717 Euro). Ende 2024 verzeichnete Cian bei Neubauwohnungen einen Preisanstieg von 10% gegenüber 2023.

Die größten Preissteigerungen verzeichneten Moskau und Sankt Petersburg: In der russischen Hauptstadt kostete ein Quadratmeter in einer Neubauwohnung im März 403.100 Rubel (4303 Euro), das ist ein Anstieg von 15% zum Vorjahreszeitraum. In Sankt Petersburg betrug der Preis pro Quadratmeter 274.900 Rubel (+12 %). Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag der Preis pro Quadratmeter in Moskau laut Sberindex bei 348.000 Rubel (3246 Euro) – das sind 19,3% mehr im Vergleich zu 2023, als ein Quadratmeter noch 246.800 Rubel kostete. Die meisten Branchenspezialisten erwarten für dieses Jahr keinen signifikanten Preisrückgang und gehen von einer Teuerung von rund 15% aus.

Preistreiber Leitzins
Experten sehen mehrere Gründe für die Preissteigerungen. Zum einen erkläre sich der Zuwachs durch gestiegene Kosten für Baumaterialien und Arbeitskräfte, schreiben die Analysten von Domclick, der Wohnmarkt-Plattform der Sberbank. Zum anderen wirke sich der hohe Leitzins, der momentan bei 21% liegt, auch auf Firmenkredite aus, mit denen Bauunternehmen ihre Betriebs- und Investitionskosten decken. Unterm Strich würden Bauprojekte dadurch unrentabler, das mache Abschläge für Wohnungskäufer zum Teil schwierig bis unmöglich, erklärt Bankenexperte Arjom Litowskij vom russischen Finanzberater Etalon. Wohnungskäufe zu günstigen Konditionen seien weiterhin möglich, sagt Ekaterina Tschurkina, Leiterin für Direktverkäufe beim russischen Bauunternehmen FSK. Allerdings fielen solche Angebote in ein enges Zeitfenster und würden nur für konkrete Bauprojekte gelten.

Angesichts der hohen Zinsen suchen Käufer immer öfter nach Alternativen, um nicht auf Hypothekendarlehen angewiesen zu sein. Eine davon sind Direktverträge mit den jeweiligen Bauträgern, die Ratenzahlungen vorsehen. Ein Knackpunkt: Diese Deals gehen meist mit höheren Preisen für einen Quadratmeter einher und müssen innerhalb von drei bis fünf Jahren abbezahlt werden.

Quellen: RBC, Domklick, Avadom, RIA Novosti, ERZ RF, Macon, Kommersant (alle RU)