Fokusanalyse

Russische Kohleindustrie

Die Kohleproduktion in Russland bleibt stabil. Seit 2018 ist jährlich zwischen 430 und 440 Mio. Tonnen Kohle gefördert worden, mit Ausnahme des ersten Corona-Jahres 2020, als die Produktion auf knapp 400 Mio. Tonnen gesunken war. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Statistikbehörde Rosstat 430 Millionen Tonnen Kohle gefördert, laut dem russischen Energieministerium jedoch 439.

Das seit August 2022 geltende EU-Importverbot für russische Kohle hat zu keinem spürbaren Einbruch von deren Produktion geführt. Rosstat und das Energieministerium stimmen darin überein, dass die Förderung 2023 lediglich um 1% abnahm. Im Vergleich zu 2021 meldeten die Statistiker ebenfalls einen 1% Rückgang, während das Energieministerium im Zweijahresvergleich überhaupt keine nennenswerte Veränderung feststellte.
Die Förderung der hochwertigeren Kokskohle und des Anthrazits 2023 nahm um 1% auf 132 Mio. Tonnen zu. Im Vergleich zu 2021 wurden im vergangenen Jahr um 6% mehr Kokskohle und Anthrazit gefördert. Dementsprechend stieg ihr Anteil an der gesamten russischen Kohlefördermenge von 29% im Jahr 2021 auf 31% 2023.

Nach vorläufiger Rosstat-Schätzung wurden in Russland in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres 179 Mio. Tonnen Kohle gefördert, was in etwa dem Vorjahresniveau entspricht. Die Fördermenge von Kokskohle und Anthrazit belief sich auf 57 Mio. Tonnen, um 5% mehr als im Januar–Mai 2023. Der Produktionsindex stieg um 2%.

Exporte leicht rückläufig
Die Kohleexporte aus Russland sanken im vergangenen Jahr laut dem Energieministerium mengenmäßig um 4% auf 213 Mio. Tonnen. Im Vergleich zu 2021, als rekordhohe 227 Mio. Tonnen russische Kohle am Weltmarkt verkauft worden waren, führte Russland 2023 um 6% weniger Kohle aus.

Für den 2022 verzeichneten Rückgang der Kohleexporte um sechs Millionen Tonnen bzw. 3% der Menge war hauptsächlich das Wegbrechen des europäischen Marktes ab der Jahresmitte verantwortlich. Die Lieferungen von Kraftwerkskohle nach Europa konnten damals noch nicht vollständig nach China und Indien umgeleitet werden. Wertmäßig hatten sich die Exporte 2022 trotz des Mengenrückgangs und der anfangs sehr hohen Abschläge für asiatische Abnehmer aber positiv entwickelt, weil die weltweiten Kohlepreise durchschnittlich ums 2,5-fache gestiegen waren.
Im vergangenen Jahr setzten die russischen Kohleexporteure die Umorientierung auf asiatische Märkte fort. Es wurden um acht Millionen Tonnen bzw. 4% weniger Kohle auf den Weltmarkt verschifft. Dies lag nicht nur an den rückläufigen globalen Preisen, die im Schnitt ums 2,2-fache tiefer lagen als 2022, sondern auch an den steigenden Logistikkosten wegen zu langer Lieferwege und Einschränkungen bei der Exportinfrastruktur.

Die Transportengpässe sind auf der Baikal-Amur- und der Transsib-Eisenbahn besonders kritisch, den wichtigsten Schienenstrecken im Osten des Landes, über die Kohle an die Exporthäfen am Pazifik und von dort in asiatische Länder geliefert wird. Von den 213 Millionen Tonnen Kohle, die Russland 2023 insgesamt exportierte, gingen 175 Millionen Tonnen nach Asien. Das entspricht 82%. Von dieser Menge wurden nach Informationen von Vize-Energieminister Sergej Motschalnikow jedoch nur 108 Millionen Tonnen über die Baikal-Amur- und Transsib-Magistralen verfrachtet. Die restlichen 67 Millionen Tonnen mussten in ineffizienter Weise durch Schwarzmeer-, Ostsee- und Barentssee-Häfen geleitet werden.

Gute Absatzperspektiven oder nicht?
Bis zum Jahr 2030 sollte es durch den Ausbau von Schieneninfrastrukturen im Osten, Nordwesten und Süden möglich werden, jährlich 360 Mio. Tonnen Kohle in nichtwestliche Länder zu exportieren, wofür dort laut Vizeminister Motschalnikow entsprechende Marktkapazitäten bestehen würden. Das wäre um 69% mehr als die Ausfuhrmenge in 2023. Im laufenden Jahr werde es Russland aber wahrscheinlich noch nicht gelingen, seine Kohleexporte zu steigern, weil die nötigen Infrastrukturverbesserungen nicht so schnell Realität werden könnten, so der Beamte.

Forscher des Instituts für natürliche Monopole (IPEM) in Moskau schätzen, dass die internationale Nachfrage nach russischer Kohle bis 2030 um 38% auf 294 Mio. Tonnen steigen werde. Davon könnten 210 Mio., oder 71% nach Südost- und Südasien exportiert werden. Diese Menge wäre um 16% größer als 2023. In den Mittleren Osten könnte Russland in sechs Jahren laut IPEM 29 Mio. Tonnen Kohle liefern, um 6% mehr als im vergangenen Jahr.
Die höhere Nachfrage könnte befriedigt werden, wenn es der Russischen Bahn RZD gelingt, die für Kohletransporte wichtigen Schienenwege wie aktuell geplant auszubauen und die bestehenden Engpässe zu beseitigen. Konkret soll die kumulierte Kapazität der Baikal-Amur- und der Transsib-Strecken von derzeit 173 Mio. Tonnen bis 2030 auf 210 sowie zwei Jahre später auf 270 Mio. Tonnen steigen. Über das Schienennetz im Nordwesten sollen in sechs Jahren 220 statt den heutigen knapp 150 Mio. Tonnen Güter transportiert werden können. Die Kapazität des Bahnnetzes im südlichen Teil Russlands mit Anschlüssen an die Häfen im Schwarzen und Asowschen Meer soll von derzeit 125 auf 152 Mio. Tonnen erhöht werden.

Analyst Nikolaj Dudtschenko vom Moskauer Finanzmakler Finam hält die IPEM-Prognose der Kohle-ausfuhren für realistisch, wenn die Kapazität des Schienennetzes gemäß Plan erhöht wird und die RZD attraktivere Beförderungstarife anbietet. Zudem müsste mit China die Abschaffung der Einfuhrzölle ausgehandelt werden, die dort seit Jahresbeginn 2024 gelten, so Dudtschenko.
Sein Kollege von dem ebenfalls in der Hauptstadt ansässigen Institut für Energietechnologien (IRTTEK), Kirill Rodionow, teilt seinen Optimismus nicht. Der Ausbau der Bahnkapazitäten sei keine Antwort auf den langfristigen Niedergang der Kohlebranche. Durch die geografische Konzentration von Kohlekraftwerken in China bei gleichzeitiger Steigerung der dortigen Förderung werde die Nachfrage nach Kohle aus Russland unter Druck bleiben, zeigt sich Rodionow sicher.

Der Experte beruft sich auf Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris, wonach Chinas Anteil an der globalen Kohleenergie zur Jahreswende 2023/24 bereits bei 53% lag (1137 von 2130 Gigawatt) und weiter steigen wird. Denn zurzeit werden in der Volksrepublik so viele Kohlekraftwerke gebaut, dass ihr Anteil an der künftigen Gesamtkapazität der weltweit im Bau befindlichen Kohlewerke bei 71% liegt (140 von 197 Gigawatt).

Auf dem chinesischen Kokskohlemarkt werde sich Russland zunehmend im Wettbewerb mit der Mongolei befinden. Das zwischen ihm und China liegende Land werde immer mehr Kokskohle fördern und sie womöglich zu günstigeren Preisen anbieten können. Diese Konkurrenz lasse sich weder durch Infrastrukturmodernisierungen noch durch tiefere Beförderungspreise aus dem Weg räumen, so Rodionow.

Quellen: Rosstat 1, 2, Vedomosti 1, 2, EU-Verordnung № 833/2014, Forbes, ICE, Interfax, Tass, IEA
2024-07-17 12:02