Fokusanalyse

Moskauer Wirtschaft: Wachstum und soziale Schere

Im Jahr 1964 brachte der sowjetisch-aserbaidschanische Sänger Muslim Magomajew seinen Hit Moskau, die beste Stadt der Welt heraus – eine Hymne auf die Metropole, die damals wie heute als Herz des Riesenreichs gilt. Sechs Jahrzehnte später, im Oktober 2024, griff Moskaus Oberbürgermeister Sergei Sobjanin genau dieses Bild auf und formulierte eine ambitionierte Vision für die Zukunft: „Moskau muss danach streben, die beste Stadt der Welt zu sein. Das ist nicht nur eine Frage von Ambitionen, sondern eine Frage des Überlebens.“

Laut Sobjanin rangiert Moskau auf Platz zwei der global führenden städtischen Volkswirtschaften. Trotz Sanktionen und Krisen wächst die Stadt an der Moskwa weiter. Sie ziehe Investoren, Talente und Unternehmen an, so der Bürgermeister. Während sich der Immobilienmarkt im vergangenen Jahr abschwächte, florieren andere Bereiche wie der Inlandstourismus und die Hotelbranche. Die wirtschaftliche Vormachtstellung Moskaus geht auch mit sozialen Problemen einher: Die Einkommensschere bleibt groß, und der hohe Anteil an Superreichen verzerrt Statistiken.

Moskau ist nicht Russland: Ein Vergleich
Die Hauptstadt Russlands hat mit rund 13 Mio. Einwohnern etwa 9% der Gesamtbevölkerung des Landes, trägt jedoch wesentlich mehr als 9% zum russischen Bruttoinlandsprodukt bei. Im Oktober 2024 erklärte der seit 2010 amtierende Sobjanin gegenüber der Wirtschaftszeitung „Kommersant“, dass Moskau 20% des russischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet. Laut Analysen der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti liegt der Anteil Moskaus am russischen BIP sogar noch höher. Demnach betrug der Anteil Moskaus an der russischen Wirtschaft im vergangenen Jahr 20,3%, während die Region Moskau 5,5% beisteuerte, die Hauptstadt und ihre Umgebung trägt also 25,8% zum russischen BIP bei. St. Petersburg folgt mit einem Anteil von 7,9%.

Weitere bedeutende Beiträge zum russischen BIP leisten der ressourcenreiche Autonome Kreis Chanty-Mansijsk mit 4,9%, der Autonome Kreis der Jamal-Nenzen mit 3,8%, die südrussische Region Krasnodar mit 3,1%, die Tatarenhauptstadt Tatarstan mit 3% und die Industrieregion Swerdlowsk um die Stadt Jekaterinburg mit 2,5%. Zusammengenommen machen diese acht Regionen 50,9% der gesamten Wirtschaftsleistung Russlands aus.
Die durchschnittlichen monatlichen Konsumausgaben pro Haushaltsmitglied in Moskau beliefen sich 2024 auf rund 750 Euro. Damit liegt die Hauptstadt deutlich vor allen anderen Regionen Russlands. Dieser vergleichsweise hohe Konsum spiegelt die wirtschaftliche Stärke und das überdurchschnittliche Einkommensniveau der Moskauer Bevölkerung wider, das wiederum auf die Konzentration von Großunternehmen mit gutbezahlten Arbeitsplätzen zurückzuführen ist.

Rund 78% des gesamten Bankvermögens des Landes sind in Moskau konzentriert. Zudem ist fast der gesamte Börsenhandel mit Wertpapieren in Moskau angesiedelt. Innerhalb von 12 Jahren hat sich das Angebot auf dem Gewerbeimmobilienmarkt mehr als verdoppelt, mit einem Wachstum von rund 32,5 Mio. Quadratmetern. Das Gesamtvolumen von Gewerbeflächen in der russischen Hauptstadt stieg im vergangenen Jahr auf 57,4 Mio. Quadratmeter. Zum Vergleich: In Berlin betrug der Büroflächenbestand Ende 2023 rund 21,3 Mio. Quadratmeter, der mit Abstand höchste Wert für eine deutsche Stadt.
Im Verkehrssektor ist Moskau das größte Luftverkehrsdrehkreuz des Landes mit fünf internationalen Flughäfen – Scheremetjewo, Domodedowo, Wnukowo, Schukowskij und dem Geschäftsflughafen Ostafjewo. Im vergangenen Jahr beförderten die drei größten Flughäfen des Moskauer Luftdrehkreuzes rund 75 Mio. Passagiere, 5% mehr als 2023. In ganz Russland wurden 111 Mio. Passagiere transportiert. Nach Kammer-Berechnungen liegt der Anteil der Moskauer-Flüge bei 67% an den russischen Gesamtflügen. Dies hängt auch damit zusammen, dass für Reisen ins Ausland viele Russen aus der Provinz zunächst nach Moskau fliegen müssen, um dann von dort weiterzugliegen. Beim Passagieraufkommen zählt Moskau zu den zehn größten Städten der Welt.

Die wirtschaftliche Vormachtstellung Moskaus erklärt sich auch dadurch, dass die meisten russischen Großunternehmen, insbesondere staatsnahe Konzerne und Rohstoffunternehmen, dort ihren Hauptsitz haben und ihre Gewinnsteuern zahlen, teilweise auch Rohstoffförderabgaben. Gleichzeitig zieht die Hauptstadt hochqualifizierte Arbeitskräfte aus anderen Teilen des Riesenlandes an, die ihre hohen Einkommen in Moskau versteuern. Diese Konzentration von Steuereinnahmen und wirtschaftlicher Aktivität führt dazu, dass die Moskauer Stadtkasse stets gut gefüllt ist und die Infrastruktur sowie die Lebensqualität in der Hauptstadt deutlich über dem russischen Durchschnitt liegen.

Verwirrung um Gehaltsstatistiken
Die Gehälter in Moskau sind in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2014 lag das nominale Durchschnittsgehalt bei rund 61.200 Rubel, zum damaligen Umrechnungskurs ca. 1200 Euro. Bis Oktober 2024 stieg das durchschnittliche Gehalt auf 151.000 Rubel, nach dem aktuellen Umrechnungskurs 1480 Euro. In der Logistikbranche gaben im vergangenen Jahr 36% der Unternehmen Gehaltserhöhungen von mehr als 20% an. In der IT-Branche lag dieser Anteil bei 18%, im Baugewerbe bei 15%, in der chemischen Industrie bei 11%, in der Automobilbranche bei 10%.

Ein aktueller Anlass für Diskussionen über die Moskauer Gehälter war die überraschte Reaktion von Präsident Wladimir Putin, als er bei einem Besuch an der Moskauer Staatsuniversität von Bürgermeister Sergei Sobjanin erfuhr, dass das Durchschnittsgehalt in der Hauptstadt bei rund 160.000 Rubel, etwa 1600 Euro, liegt. „Im Ernst? Es ist doch höher!“, antworterte Putin daraufhin ungläubig.

Laut der offiziellen Entwicklungsprognose für Moskau für den Zeitraum 2025–2027 wird das durchschnittliche Gehalt eines Einwohners der Hauptstadt im Jahr 2027 voraussichtlich 200.000 Rubel übersteigen. Das durchschnittliche nominale Bruttogehalt pro Arbeitnehmer soll sich 2025 auf 180.000 Rubel erhöhen, 2026 auf 199.000 Rubel und 2027 auf 214.000 Rubel. Für viele Moskauer Arbeitnehmer sind solche Gehälter jedoch nicht erreichbar. Das durchschnittliche Gehalt wird durch Großverdiener verzerrt.
Im Gegensatz zum Durchschnittsgehalt, bei dem alle Gehälter addiert und durch die Anzahl der Menschen geteilt werden, wird das Mediangehalt nicht durch extrem hohe oder niedrige Einkommen verzerrt. Das Mediangehalt ist der Wert, der genau in der Mitte aller Gehälter liegt, wenn man sie der Größe nach sortiert. Das bedeutet, die eine Hälfte der Menschen verdient mehr als dieser Wert, und die andere Hälfte verdient weniger. Die aktuellsten Daten zum Moskauer Mediangehalt sind aus dem Jahr 2023, als das Mediangehalt bei 85.000 Rubel lag. Aufgrund der allgemeinen Lohnsteigerungen sollte das aktuelle Mediangehalt bei ca. 100.000 Rubel liegen.

Während Moskau nach der Öl- und Gasregion Tschukotka das zweithöchste Durchschnittsgehalt in Russland aufwies, verdienten Arbeitnehmer in der Kaukasusrepublik Inguschetien, einer der ärmsten Regionen Russland, weniger als 40.000 Rubel durchschnittlich, rund 400 Euro. In Deutschland verdienen Arbeitnehmer in Hamburg mit durchschnittlich 4146 Euro pro Monat die höchsten Gehälter, gefolgt von Hessen (3958 Euro) und Baden-Württemberg (3917 Euro). Am unteren Ende der Skala liegen Thüringen (3083 Euro), Mecklenburg-Vorpommern (3042 Euro) und Sachsen-Anhalt (3042 Euro).

Stadt der Superreichen
Der hohe Anteil an Milliardären in der Stadt hat Einfluss auf die statistischen Durchschnittswerte der Metropole. Mit 74 Milliardären und einem Gesamtvermögen von 360 Mrd. Euro liegt die russische Hauptstadt 2024 auf Platz zwei der weltweiten Milliardärs-Hochburgen, gleichauf mit Hongkong und hinter New York. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Superreichen in Moskau um 12 Personen. Trotz Sanktionen verzeichneten russische Milliardäre einen Vermögenszuwachs von 48 Mrd. Euro. Der reichste Moskauer ist weiterhin Wagit Alekperov, Gründer des privaten Ölkonzerns Lukoil, mit einem geschätzten Vermögen von 27,5 Mrd. Euro. Moskau hat sich innerhalb eines Jahres vom sechsten auf den zweiten Platz der weltweiten Milliardärs-Städte vorgeschoben. Zum Vergleich: Spitzenreiter New York ist Heimat für 110 Milliardäre mit einem Gesamtvermögen von 666 Mrd. Euro.

Budgetplanung 2025-2027
Die Einnahmen Moskaus werden laut dem im Oktober 2024 verabschiedeten Stadthaushalt deutlich wachsen. Die Prognosen zeigen, dass die Einnahmen der Stadt im Jahr 2025 bei 5,1 Bio. Rubel, rund 49,7 Mrd. Euro, liegen werden, 2026 auf 5,4 Bio. Rubel (52,6 Mrd. Euro) steigen und 2027 5,8 Bio. Rubel (56,5 Mrd. Euro) erreichen könnten. Diese Zahlen zeigen ein durchschnittliches jährliches Wachstum von etwa 6%. Der Anteil der Moskauer Steuererträge macht etwa 23% der gesamten Steuereinnahmen Russlands aus.
Die Regierung der Stadt hat Anfang Oktober 2024 den Gesetzentwurf zum Haushalt für 2025 sowie für den Planungszeitraum 2026–2027 verabschiedet. In diesem Entwurf sind für das Jahr 2025 etwa 5,014 Bio. Rubel (48,8 Mrd. Euro) für staatliche Programme vorgesehen, was 90% der Haushaltsausgaben entspricht. Schwerpunkte des Budgets sind die Entwicklung des Verkehrssystems (1,08 Bio. Rubel bzw. 10,5 Mrd. Euro), soziale Unterstützung (737,1 Mrd. Rubel bzw. 7,2 Mrd. Euro), Bildung (649,6 Mrd. Rubel bzw. 6,3 Milliarden Euro), Gesundheitsfürsorge (610,7 Mrd. Rubel bzw. 5,9 Mrd. Euro) und die Modernisierung des Wohnungsbestandes (567,6 Mrd. Rubel bzw. 5,5 Mrd. Euro).

Ab dem 1. Januar 2025 wird die Mindestrente mit städtischem Zuschlag auf 25.850 Rubel (251,7 Euro) erhöht, was etwa zwei Millionen Einwohner Moskaus betreffen wird. Das Investitionsprogramm für Infrastruktur für den Zeitraum 2025–2027 umfasst Mittel in Höhe von 3,3 Bio. Rubel, rund 32,1 Mrd. Euro. Ein wichtiger Bestandteil ist das Gesundheitsprogramm der Stadt, das den Wiederaufbau von Kliniken und den Bau großer Krankenhäuser vorsieht. Insgesamt sind bis 2027 der Bau von 31 Gesundheitseinrichtungen, darunter Krankenhäuser, Kliniken und Notfallstationen, geplant. Auch die Bildungsinfrastruktur soll umfassend modernisiert werden. Ab 2025 sollen jährlich bis zu 100 Schul- und Hochschulgebäude saniert werden. Zusätzlich sind Maßnahmen zur Modernisierung von Industriegebieten und Technologieparks geplant. Dafür werden in den Jahren 2025–2027 etwa 180,3 Mrd. Rubel (1,8 Mrd. Euro) bereitgestellt.
Die Haupteinnahmequelle des Moskauer Haushalts bleibt die Steuer. Etwa 45,5% der Einnahmen entfallen auf die Einkommensteuer, während die Unternehmensgewinnsteuer einen Anteil von 31% ausmacht. Rund 80% der Steuereinnahmen werden von Unternehmen aus der verarbeitenden Industrie, dem Transportsektor, dem Handel, dem IT-Bereich und dem Dienstleistungssektor geleistet. Trotz großer Ausgaben für Infrastruktur konnte die russische Hauptstadt ihre Schuldenquote 2024 verringern. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sank die Verschuldung der Hauptstadt um 13,4% auf 170,4 Mrd. Rubel, rund 1,7 Mrd. Euro. Damit liegt Moskau auf dem zweiten Platz der am höchsten verschuldeten Regionen Russlands, hinter der Region Moskau mit 248,4 Mrd. Rubel (2,5 Mrd. Euro). Moskau hat ein vergleichsweise niedrige Schuldenlast im Verhältnis zu den Haushaltseinnahmen. Mit einer Quote von nur 3,6% zählt die Hauptstadt zu den russischen Regionen mit der geringsten relativen Verschuldung.

Schwächender Immobilienmarkt
Ende 2024 zeigte sich eine deutliche Abschwächung des Moskauer Wohnimmobilienmarktes. Laut einer Analyse der Immobilienagentur Metrium, sank die Zahl der Transaktionen bei im Bau befindlichen Wohnungen um 25%, während sie bei fertigen Wohnungen um 16% zurückging. Die Vergabe von Hypothekendarlehen verringerte sich um 11%. Insgesamt wurden im Marktsegment für fertige Wohnungen – einschließlich Bestandsimmobilien und Neubauten von Bauträgern – 146.200 Kaufverträge abgeschlossen, ein Rückgang von 16% im Vergleich zu 2023, als noch 175.000 Transaktionen verzeichnet wurden. Damit liegt das Ergebnis für 2024 unter den Zahlen von 2021 (170.900) und 2018 (156.400), aber über dem Niveau des Krisenjahres 2022 als es nur 132.600 Immobilientransaktionen gab.

Larisa Schwetsowa, Geschäftsführerin des Immobilienentwicklers River Park, führt den Rückgang vor allem auf das Ende des Vorzugshypothekenprogramms zurück. Sie betont, dass etwa 40% aller Transaktionen 2023 durch günstige Kredite mit Zinssätzen von 8% pro Jahr ermöglicht wurden. Mit der Abschaffung dieses Instruments sei die Zahl der Transaktionen gesunken, wodurch einige Käufer aus dem Markt gedrängt wurden.

Jedoch gibt es eine Aufwärtstendenz. Im letzten Monat des Jahres 2024 wurden 11.200 Hypothekendarlehen vergeben, ein Anstieg um 16% gegenüber Dezember 2023 und um 27% im Vergleich zum November 2024. Die Nachfrage nach Wohnimmobilien könne sich laut den Immobilienexperten 2025 wieder erholen, insbesondere wenn neue Förderprogramme oder Zinssenkungen eingeführt würden.

Explodierende Hotelpreise
Im vergangenen Jahr wurden in Russland so viele Zimmer gebaut, wie seit der Fußballweltmeisterschaft 2018 nicht mehr. Insgesamt wurden fünf neue Hotels mit 633 Zimmern eröffnet, eine Verdopplung im Vergleich zu 2023 als 314 Zimmer eröffnet wurden. Brancheninsider wie IBC Real Estate führen diese Entwicklung auf die Förderung des Inlandstourismus und staatliche Unterstützungsmaßnahmen zurück. Die Gesamtzahl der Hotelzimmer in Moskau betrug im dritten Quartal 2024 fast 30.000.

Zu den neu eröffneten Hotels zählen die Fünf-Sterne-Hotels Stella di Mosca, Maidens Hotel Moscow, das Vier-Sterne-Hotel Glenver Garden, Double Tree Moscow Arbat und das Drei-Sterne-Hotel Cosmos Smart Moscow Semenovskaya. Ursprünglich sollten viele dieser Hotels von internationalen Betreibern wie Hilton, Accor und Marriott geführt werden. Diese zogen sich jedoch nach 2022 zurück. Die Hotels wurden daraufhin von lokalen Betreibern unter neuen Marken eröffnet.

Laut IBC Real Estate könnte die durchschnittliche Auslastung der Moskauer Hotels bis Jahresende 78% erreichen, was einem Anstieg von 5,3 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Dies übertrifft sogar die Zahlen von 2018, als Moskau durch die Fußball-Weltmeisterschaft einen Tourismusschub erlebte. Zudem stiegen die durchschnittlichen Zimmerpreise in Moskau um fast 40% auf 9937 Rubel pro Nacht, etwa 100 Euro.

Die Entwicklung des Hotelsektors wird maßgeblich durch staatliche Förderungen vorangetrieben. Neue Projekte sind von der Mehrwertsteuer befreit, wodurch Investitionen angekurbelt werden. Für das Jahr 2025 erwartet IBC Real Estate den Bau von 835 zusätzlichen Hotelzimmern, darunter größere Projekte wie ein Hotel mit 200 Zimmern in der Bolschoy Poluyaroslavsky Lane und ein weiteres mit 157 Zimmern im Komplex Poklonnaya 9 am Kutusowskij Prospekt.

Quellen: Kommersant 1, 2, Vedomosti 1, 2, 3, 4, 5, 6, Forbes 1, 2, RBC, Izvestia, RIA Novosti 1, 2, GOGOV