Mitte November veröffentlichte die EU-Kommission ihre Prognosen zur russischen Wirtschaft. Die Kommission erwartet, dass das Wirtschaftswachstum von 3,5% im Jahr 2024 auf 1,8% im Jahr 2025 sinkt und sich 2026 auf 1,6% weiter abschwächt. Damit liegt sie über der Prognose der russischen Zentralbank, die für 2025 ein Wachstum von 0,5% bis 1,5% erwartet, jedoch deutlich unter der Prognose der russischen Regierung, die von 2,5% Wachstum ausgeht. Andere Experten, wie der deutsche Sachverständigenrat und die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC), kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie die EU-Kommission und prognostizieren für 2025 ein Wachstum von 1,7%.
Prognosen für Konsum und Investitionen Die Entwicklung der russischen Wirtschaft im ersten Halbjahr 2024 war noch von starkem privatem Konsum und steigenden Investitionen geprägt. Der Konsum wurde durch hohe Reallöhne und staatliche Transfers angekurbelt. Doch ab dem dritten Quartal zeigten sich Anzeichen einer Abkühlung. Die Industrieproduktion verlangsamte sich, und der Einkaufsmanager-Index signalisierte einen Rückgang der Geschäftstätigkeit. Auch das Verbrauchervertrauen sank, das Wachstum der Einzelhandelsumsätze ließ nach. Nach einem Anstieg des privaten Verbrauchs von 4,7% im Jahr 2024 wird 2025 nur noch ein Plus von 3,4% erwartet, 2026 dann lediglich 1,5%. Gründe sind ein langsameres Wachstum der Reallöhne und Kürzungen bei staatlichen Kreditsubventionen. Öffentliche Investitionen werden aufgrund hoher Militärausgaben weiter steigen, während private Investitionen durch hohe Zinsen und Kapazitätsengpässe gebremst werden. 2025 dürften die Investitionen sogar um 1% sinken, bevor sie 2026 wieder um 1,8% wachsen.
Russlands Wirtschaftswachstum werde laut EU-Kommission bis 2026 fast ausschließlich von der Inlandsnachfrage getragen. Die Nettoexporte leisten kaum einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum. 2024 stagnieren die Exporte, während die Importe um 0,5% schrumpften. Im kommenden Jahr wird ein Importwachstum von 3,7% erwartet, während die Exporte etwas schwächer zulegen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird sich, nach einem moderaten Rückgang des Wachstums auf 3,5% im Jahr 2024, 2025 auf 1,8% halbieren und 2026 weiter auf 1,6 % sinken.
Die EU-Kommission erwartet bis 2026 eine Abschwächung der Inflation. Nach einem Höchststand von 9,1% im Juli 2024 sank die Verbraucherpreisinflation bis September auf 8,6%. Für das Gesamtjahr wird ein Anstieg der Verbraucherpreise von 8,1% erwartet, gefolgt von 5,7% im Jahr 2025 und 4,5% im Jahr 2026, was nahe am Inflationsziel der Zentralbank von 4% liegt. Ein verlangsamtes Lohnwachstum und eine restriktive Geldpolitik dürften diese Entwicklung unterstützen.
Staatsausgaben und Haushaltsdefizit Nach Angaben der EU-Kommission erzielte Russlands Bundeshaushalt in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 trotz gestiegener Militärausgaben einen kleinen Überschuss. Der Grund dafür liege in einem starken Anstieg der Staatseinnahmen um 33% im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2023. Die Kommission führt dies auf höhere Energieeinnahmen aufgrund gestiegener globaler Ölpreise sowie auf zusätzliche Steuereinnahmen aufgrund der gestiegenen Konsumausgaben der Bevölkerung zurück. Dennoch rechnet die Kommission für das Gesamtjahr 2024 mit einem Haushaltsdefizit von 1,8% des BIP, da die militärischen Ausgaben weiter steigen.
Für 2025 geht die EU-Kommission von einem deutlichen Anstieg der Militärausgaben aus, die um rund ein Viertel auf 6,2% des BIP steigen sollen. Gleichzeitig werden andere Ausgaben nur geringfügig wachsen. Auf der Einnahmenseite soll ein erwarteter Rückgang der Energieeinnahmen durch neue Steuererhöhungen und die Einführung einer progressiveren Einkommensteuer ausgeglichen werden. Insgesamt prognostiziert die EU-Kommission, dass sich das Haushaltsdefizit im kommenden Jahr auf 1,5% des BIP verringern wird. Für 2026 rechnet die Kommission jedoch mit einer Ausweitung des Defizits auf 2,5% des BIP. Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und rückläufige Einnahmen dürften die staatlichen Finanzen zusätzlich belasten, während die kriegsbedingten Ausgaben weiterhin hoch bleiben. Die gesamtstaatliche Verschuldung Russlands wird laut EU-Kommission von 19,7% des BIP im Jahr 2024 auf etwa 22,1% des BIP im Jahr 2026 steigen.
Die Langversion dieses Artikels von Klaus Dormann, dem früheren Chefanalytiker der Ruhrgas AG, erschienzuerst im Online-Magazin Ostexperte.