Fokusanalyse

Tadschikisch-russische Wirtschaftsbeziehungen

Die Wirtschaft Tadschikistans lebt von Wasserkraft und Auslandsüberweisungen
Die Tadschikische Sozialistische Sowjetrepublik galt als die ärmste und unterentwickelteste Region der Sowjetunion und war vom Zusammenbruch der Sowjetunion wirtschaftlich hart betroffen. Von 1992 bis 1997 erschütterte ein Bürgerkrieg zwischen der Regierung und islamistischen Gruppen das Land. Schätzungen zufolge forderte der Konflikt bis zu 100.000 Menschenleben.

Das persischsprachige Tadschikistan, ein Binnenstaat in Zentralasien, hat eine Bevölkerung von 10 Millionen. Das Land grenzt im Norden an Kirgisistan, China im Osten, Afghanistan im Süden und Usbekistan im Westen. Die Hauptstadt Duschanbe ist mit rund 1,2 Millionen Einwohnern auch die größte Stadt. Mit einem BIP pro Kopf von rund 1200 Euro liegt Tadschikistan abgeschlagen hinter seinen zentralasiatischen Nachbarn und ungefähr gleichauf mit Haiti. 70 Prozent der Bevölkerung lebt auf dem Land.

Das Bruttoinlandsprodukt Tadschikistans liegt bei rund 10 Milliarden Euro, und ist damit die kleinste Volkswirtschaft Zentralasiens, hinter Kirgisistan (11,5 Milliarden), Turkmenistan (55 Milliarden), Usbekistan (77 Milliarden) und Kasachstan (über 200 Milliarden). Ungefähr ein Drittel des BIP sind Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten in Russland.
Tadschikistan verfügt über reichhaltige Bodenschätze. Dazu zählen Edelmetalle wie Gold und Silber sowie Mineralien wie Kohle, Zink, Blei und Zinn. Eisen zusammen mit Magnesium und Molybdän in Verbindung mit Wolfram sind in den tadschikischen Bergen vorzufinden, die 93 % des Landes ausmachen. Eine grobe Schätzung legt nahe, dass die Uranvorkommen bis zu 16 % der weltweiten Reserven betragen. Zum Abbau allerdings fehlen Investitionen und Infrastruktur.

Die Republik verfügt über eine Wasserkraftkapazität von 527 Milliarden kWh pro Jahr und ist damit weltweit führend. Die durchschnittliche jährliche Stromproduktion in Tadschikistan liegt zurzeit bei circa 17 Milliarden kWh, lediglich 5 % des Wasserkraftpotenzials werden. Die meisten Wasserkraftanlagen wurden in der Sowjetära errichtet. Ein Wasserkraftwerk in Rogun wurde bereits 1976 begonnen und soll mit der Inbetriebnahme des dritten und letzten Generators Ende 2025 vollendet werden. Als Tadschikistan 1929 zur Sowjetrepublik wurde, zielte man darauf ab, den Aufbau einer wasserbetriebenen Schwerindustrie aufzubauen. In den 1960er-Jahren fassten die sowjetischen Planer den Beschluss, drei große Staudämme zu bauen: Rogun, Nurek und Sangtuda.

1972 wurde der Nurek-Damm vollendet, und 2008 folgten die Sangtuda-Talsperren. Der Nurek-Damm, der sich 60 Kilometer flussabwärts von Rogun befindet, hat eine Höhe von 300 Metern und eine Kapazität von 3000 Megawatt. Er ist somit die zweithöchste Staumauer der Welt. Zusammen mit der Aluminiumfabrik in Tursunsoda, die zur selben Zeit errichtet wurde, sollten diese Projekte die Modernisierung und Industrialisierung Tadschikistans stärken.

An den Arbeiten am Wasserkraftwerk Rogun sind russischen und westliche Firmen beteiligt. Im Juni 2022 bekundete die Europäische Investitionsbank Interesse am Projekt. Reuters zufolge strebt die EU an, zum Hauptinvestor für Wasserkraft in der Region zu werden, "um die Abhängigkeit Zentralasiens von russischen Energielieferungen zu reduzieren".

Im Jahr 2023 erreichte das Außenhandelsvolumen Tadschikistans 7,7 Milliarden Euro, ein Anstieg von 13,9 % gegenüber dem Vorjahr. Besonders auffällig ist die Entwicklung des Handels mit der Europäischen Union, der sich auf mehr als 1,6 Milliarden Euro verdoppelte. Die Republik exportierte Waren im Wert von über 2,2 Milliarden Euro, während Importe rund 5,5 Milliarden Euro ausmachten.

Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Tadschikistan verzeichneten in den vergangenen Jahren ebenfalls eine positive Entwicklung. Laut dem Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft stiegen die deutschen Exporte nach Tadschikistan von 33 Millionen Euro im Jahr 2021 auf 57 Millionen Euro im Jahr 2022, während Importe aus Tadschikistan nach Deutschland von 2,9 Millionen Euro auf 2,3 Millionen Euro zurückgingen. In der Rangliste der Außenhandelspartner Deutschlands belegte Tadschikistan im Jahr 2022 Platz 139 bei den Ausfuhren und Platz 173 bei den Einfuhren.

Der Handel Tadschikistans mit der Volksrepublik China stieg im vergangenen Jahr um 54 % und erreichte ein Volumen von 3,6 Milliarden Euro. Trotz dieses Wachstums bleibt das Handelsvolumen mit China das Niedrigste im Vergleich zu anderen zentralasiatischen Staaten. Tadschikische Exporte in das Reich der Mitte betrugen im vergangenen Jahr 230 Millionen Euro.

Zentralasiatische Arbeitsmigranten in Russland
Die Arbeitslosenquote in Russland liegt unter 3% und für viele, insbesondere niedrigqualifizierte Berufe, ist es schwierig, Arbeitskräfte zu finden. Deshalb stiegen die Reallöhne in Russland im vergangenen Jahr um fast 8%. Abhilfe beim Arbeitskräftemangel sollen vor allem Menschen aus Zentralasien bringen.
Tadschikistan verzeichnete ein jährliches Bevölkerungswachstum von 2,2 %. Im Jahr 2020 betrug die Fruchtbarkeitsrate statistisch 3,2 Kinder pro Frau, eine der höchsten Raten außerhalb Afrikas. Prognosen zufolge wird die Bevölkerung Tadschikistans in den nächsten 25 Jahren auf über 15 Millionen ansteigen, während 1950 die Einwohnerzahl bei nur 1,5 Millionen lag. Das mittlere Alter der Bevölkerung beträgt 22,4 Jahre, im Vergleich zu 44,7 Jahre in Deutschland und 40,7 Jahre in Russland. Fast 40% der tadschikischen Bevölkerung ist unter 15 Jahren, und nur 3,2 % älter als 64 Jahre. Tadschikistan hat somit eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden Bevölkerungen in Asien.
Aktuelle Schätzungen verzeichnen über sechs Millionen Arbeitsmigranten in Russland, darunter circa 1,5 Millionen aus Tadschikistan. Viele Branchen sind auf Arbeiter angewiesen, die Tätigkeiten ausüben, für die es entweder keinen russischen Arbeitskräftenachschub gibt oder die von diesen nicht übernommen werden wollen. Für Russland sind gute Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten auch deswegen wichtig, weil über diese Staaten Ersatzteilen, Materialien, Mikrochips, die unter westliche Sanktionen fallen, ins Land kommen.

Nach dem Terroranschlag in Moskau gibt es eine rege Debatte über Verschärfungen der Migrationsgesetze. Eine Sprecherin des Innenministeriums teilte am 1. April mit, dass ein Gesetzesentwurf eingereicht wurde, der eine Reduzierung der Aufenthaltsdauer für Ausländer in Russland vorsieht. Das Dokument schlägt vor, die Dauer des vorübergehenden Aufenthalts von Ausländern auf 90 Tage pro Kalenderjahr zu verkürzen, zurzeit kann man sich 180 Tage im Jahr in Russland aufhalten. Außerdem soll es verstärkte Kontrollen bei Arbeitgebern und Dienstleistern geben, die ausländische Arbeitskräfte beschäftigen.

Der Gesetzentwurf beinhaltet zudem die Einführung biometrischer Identifikation bei der Einreise und die Erstellung digitaler Profile für Ausländer. Ein sogenannter „Treuevertrag“ ist ebenfalls Teil des Vorschlags, wonach Ausländer Zustimmung zu möglichen Einschränkungen bei Rechtsverstößen geben müssen.

„Vor dem Hintergrund der niedrigen Arbeitslosigkeit in Russland, die als Hauptproblem der russischen Wirtschaft gilt, sollten wir dafür kämpfen, Migranten anzuziehen“, sagte Marina Kwramova, Direktorin des Instituts für demografische Forschung des Föderalen Forschungszentrums der Russischen Akademie der Wissenschaften. „Ihnen müssen normale Arbeitsbedingungen, Löhne, Präferenzen des Arbeitgebers, beispielsweise in Form einer freiwilligen Krankenversicherung usw., angeboten werden. Der Wettbewerb um Arbeitskräfte, sowohl im Ausland als auch Russland nimmt stark zu“, betonte der Wissenschaftler in einem Interview mit der russischen Wirtschaftszeitung RBC. Massenabschiebung von Hunderttausenden nach Tadschikistan oder in andere zentralasiatische Staaten sind unwahrscheinlich, da diese destabilisierend wirken könnten, und Russland an guten Beziehungen zu Zentralasien interessiert ist.

Tadschikisch-Russische Beziehungen
Der Zusammenbruch der sowjetischen industriellen Kooperationen traf Tadschikistan härter als seine Nachbarstaaten. Tadschikistans Anteil am BIP Zentralasiens fiel von über 5% in der Sowjetära auf 2,8% im Jahr 2020. Tadschikistan war eine der letzten Sowjetrepubliken, die sich unabhängig machte, da man diese negativen wirtschaftlichen Folgen der Unabhängigkeit schon in den Neunzigerjahren sah.
Ein Viertel der Einwohner Tadschikistans spricht fließend Russisch, 60 % mäßig und 15 % kaum oder gar nicht. Jedoch verringerte sich der Anteil der russischen Bevölkerung stark. Von den 400.000 Russen, die 1989 in Tadschikistan lebten, waren im Jahr 2005 nur noch etwa 140.000 verblieben. In der Nähe der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe liegt eine große russische Militärgarnison.

Im Jahr 2022 wurden fünf neue Schulen in Tadschikistan eröffnet, die Russisch nach russischen Lehrplänen lehren; die Standorte sind die Hauptstadt Duschanbe, Kulyab, Chudschand, Buchtar und Tursunzade. Der Bau eines Bildungszentrums für hochtalentierte Kinder in Duschanbe sowie eines neuen Gebäudes für das Majakowski-Theater ist im Gange. Laut russischen Angaben sind über 35.000 tadschikische Studenten und Doktoranden an russischen Hochschulen eingeschrieben, von denen etwa 25.500 staatlich finanziert werden.

Am 21. November 2023 betonte der russische Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow, dass Russland für Tadschikistan einer der primären Handelspartner ist. Russland führt Öl, Produkte der Holz-, Zellstoff- und Papierindustrie sowie Ausrüstungen und Fahrzeuge nach Tadschikistan aus. Tadschikistan exportiert Textilien, Lebensmittel, landwirtschaftliche Rohstoffe und Metalle nach Russland. Der Handelsaustausch zwischen den beiden Staaten wuchs im Jahr 2022 um über 20 %. In den ersten neun Monate des Jahres 2023 erhöhte sich das Handelsvolumen um 33 %, die Exporte aus Russland um 29 % und die Importe nach Russland um 8,7 %.
In Tadschikistan sind laut Angaben von Reschetnikow 31 Projekte in den Bereichen Automobilindustrie, Energie, Industrie und Digitalisierung mit russischer Beteiligung im Wert von 6,5 Milliarden Euro, umgerechnet 650 Milliarden Rubel, im Gange. Große gemeinsame Projekte umfassen die Gründung eines Textilclusters in Kooperation in der Wirtschaftszone Kulyab, und den Anbau von Heilpflanzen im tadschikischen Hochland. Russland zeigt ebenso Interesse an tadschikischen Früchten und Kleidung, s.o. Wirtschaftsminister Reschetnikow. Russland sei bereit, landwirtschaftliche Erzeugnisse, Holz-, Metall- und chemische Produkte zu exportieren.

Die russischen Investitionen in Tadschikistan summieren sich auf etwa 1,5 Milliarden Euro, rund 16 % der gesamten ausländischen Investitionen in Tadschikistan. Das Hauptprojekt ist das Sangtuda-Wasserkraftwerk, welches als das drittgrößte des Landes gilt und ca. 11 % des gesamten Stroms produziert. Russland hat rund 160 Millionen Euro, umgerechnet 16 Milliarden Rubel in das Kraftwerk investiert.

Quellen: Le Monde (EN), Carnegie (EN), BNE IntelliNews (EN), Spiegel (DE), Ost Ausschuss (DE), GTAI (DE), Vedomosti, RBC, TASS, Nesavisimaya Gaseta (alle RU)
2024-04-03 17:49