Fokusanalyse

Kursprognose: Starker Rubel zeigt Schwäche

Hintergrund

Die meisten Ökonomen rechnen bis Ende des Jahres mit einer Rubelkurs-Spanne zwischen 85–95 Rubel zum Dollar und damit mit einer weiteren Abwertung. Für Verunsicherung am Devisenmarkt sorgt wohl in erster Linie die geopolitische Lage. Laut dem Chefanalysten der Sovkombank Michail Wassiljew könnte die Landeswährung durch eine Annäherung zwischen den USA und Russland zur Kursspanne 70–80 Rubel zurückkehren. Allerdings hat das Alaska-Treffen vom August zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Staatschef Wladimir Putin bislang nicht zu den in Russland erhofften Sanktionserleichterungen und zu einem Waffenstillstand sowie Friedensprozess geführt. Stattdessen mehren sich Anzeichen für eine neue Sanktionsrunde gegen Russland.

Die russische Landeswährung hat im September ihr Fünfmonatstief erreicht und fiel in der vergangenen Woche auf 85,66 zum Dollar und 99,73 zum Euro. Mit Stand zum 18. September beträgt der Wechselkurs 82,99 Rubel zum Dollar und 98,29 Rubel zum Euro. Die erste Hälfte des Jahres stand für die russische Wirtschaft im Zeichen eines ungewöhnlich starken Rubels. Lag das Kursverhältnis der Landeswährung Anfang 2025 bei durchschnittlich 100,86 Rubel zum Dollar und bei 104,61 Rubel zum Euro, so wertete der Rubel in den folgenden Monaten kontinuierlich auf. Ihren vorläufigen Zenit erreichte die Landeswährung im Juni, als der durchschnittliche Kurs bei 78,71 Rubel zum Dollar und 90,55 Rubel zum Euro lag.

Leitzins und Währungsintervention

Die straffe Geldpolitik der russischen Zentralbank hat die Rubel-Aufwertung in der ersten Jahreshälfte begünstigt. Die schrittweisen Leitzinssenkungen von 20% auf 18% im Juli dieses Jahres und eine weitere Senkung auf 17% am vergangenen Freitag hätten dementsprechend zum sinkenden Rubelkurs mit beigetragen, schreiben die Analysten des größten privaten Geldhauses in Russland, der Alfa-Bank. Die Leitzinsentscheidungen der vergangenen dreieinhalb Jahre hätten keine sofortigen Auswirkungen auf den Rubelkurs gehabt, erklärt Alexander Potawin, Analyst bei der russischen Investmentholding Finam. Negative Folgen für den Rubel könnte erst eine drastische Leitzinssenkung auf 10–12% mit sich bringen, schätzt der Experte.

Wichtige Aussagen zum Rubelkurs traf kürzlich auf dem Östlichen Wirtschaftsforum Boris Titow, Sonderbeauftragter des russischen Präsidenten für Beziehungen mit internationalen Organisationen zur Zielerreichung im Bereich Nachhaltige Entwicklung (ESG). „Es ist notwendig, Devisen zu kaufen, um den Wechselkurs auf einem Niveau zu halten, das Unternehmen den Export ermöglicht. Mithilfe der Zentralbank-Politik und marktwirtschaftlicher Methoden sollte sichergestellt werden, dass der Rubelkurs innerhalb der Grenzen der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft liegt und dem aktuellen Entwicklungsstand entspricht.“

Die Zentralbank müsste demnach in größeren Mengen Devisen kaufen, um den Rubelkurs zu beeinflussen. Die russische Zentralbank verzichtet seit 2014 bis auf Ausnahmefälle auf Währungsinterventionen und setzt auf einen volatilen Rubelkurs, der durch Angebot und Nachfrage am Devisenmarkt bestimmt wird. Kritiker halten dieses Modell in Zeiten von Sanktionen für nicht tragfähig.

Auch in der russischen Wirtschaft werden Rufe nach einer Regulierung des Rubelkurses laut. „Wir haben eine Reihe von harten Erklärungen gehört, in denen ein fixierter Rubel-Wechselkurs gefordert wird, zumindest für Exporteure. Aber wir glauben nicht, dass solche radikalen Methoden in der Wirtschaft funktionieren. Die Risiken einer solchen Entscheidung sind zu hoch“, sagte der Sonderbeauftragte des Präsidenten. Gleichzeitig würden Währungsinterventionen die Wettbewerbsfähigkeit russischer Waren im Ausland erhöhen.

Devisenmangel und optimaler Rubelkurs

Die Rubelkurs-Entwicklung schlägt sich in der Zahlungsbilanz Russlands nieder. Das russische Außenhandelsvolumen hat sich in den ersten sieben Monaten 2025 um 2,6% auf 388 Mrd. Dollar verringert, berichtet der Föderale Zolldienst. Die Exporte gingen um 4,7% auf 232,6 Mrd. Dollar zurück, die Importe stiegen um 0,8% auf 155,4 Mrd. Dollar. Russland erzielte damit einen Außenhandelsüberschuss in Höhe von 77,2 Mrd. Dollar, 14% weniger als im Vorjahreszeitraum.

Der Grund: Der starke Rubel senkte die Kosten für Importeure im ersten Halbjahr 2025 und sorgte gleichzeitig bei Exporteuren für geringere Deviseneinnahmen. Diese gingen im August auf 6,2 Mrd. Dollar im Vergleich zu 9 Mrd. Dollar im Vormonat zurück, was den niedrigsten Wert in den vergangenen dreieinhalb Jahren bedeutete. Die Rubelstärke gepaart mit niedrigen Ölpreisen wirkte sich in diesem Zeitraum ebenso auf die russischen Haushaltseinnahmen aus. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums betrugen die Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten 5,5 Bio. Rubel, umgerechnet 54,6 Mrd. Euro – und damit 18,5% weniger im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Finam-Analyst Alexander Potawin macht für den sinkenden Rubelkurs den Devisenmangel verantwortlich. Ein geringes Devisenangebot angesichts steigender Nachfrage nach Fremdwährung führe zu einem Defizit, das auf den Rubelkurs drücke, erklärt der Finanzanalyst. Nach Auffassung von Ökonomen spielt ein schwacher Rubelkurs den Exporteuren in die Hände, für Importeure und Verbraucher rentiert sich hingegen ein starker Rubel. Ein optimaler Währungskurs für Exporteure sei nicht gleichzusetzen mit einem optimalen Kurs für die gesamte Wirtschaft, gibt Dmitri Kulikow von der russischen Ratingagentur AKRA zu bedenken.

Umtauschpflicht aufgehoben

Der Rubelkurs wurde bis vor Kurzem durch die Umtauschpflicht russischer Exporteure gestützt. Die russische Regierung hat die Exporteure Mitte August von der Pflicht befreit, einen Teil ihrer Deviseneinnahmen in die Landeswährung umzutauschen. Die Umtauschpflicht war im Oktober 2023 eingeführt worden, um den Rubel nach einer starken Abwertung wieder zu stabilisieren. Begründet wurde die Lockerung damit, dass der Rubel stark und stabil sei und „es keine Probleme mit der Devisen-Liquidität gibt“. Experten werten diese Entscheidung als Signal dafür, dass ein zu starker Rubel dem Regierungskalkül zuwiderläuft.

Bisher mussten die wichtigsten Exportunternehmen mindestens 40% der im Ausland erwirtschafteten Devisen nach Russland überweisen und 90% davon in die Landeswährung umtauschen. In diesem Jahr wurde diese Auflage sogar übererfüllt: In den ersten sechs Monaten verkauften die Exporteure im Inland insgesamt 40% mehr Fremdwährungen als geplant.

Quellen: Vedomosti 1, 2, Kommersant 1, 2, РБК, Alfa-Bank, Banki.ru, Myfin, Russ. Zentralbank (alle RU)