Fokusanalyse

Russland zwischen Pleitewelle und Insolvenz-Tiefstand

Hintergrund

Im 1. Quartal 2025 hat es in Russland bereits so viele Unternehmenspleiten auf dem Anleihenmarkt gegeben wie im gesamten vergangenen Jahr. Das konstatierten Mitte April die Analysten der Alfa-Bank, der größten russischen Privatbank. Die Entwicklung komme angesichts der langen Hochzinsphase nicht überraschend, so ihr Urteil. Seit August 2023 ist der Leitzins in Russland zweistellig. Die russische Zentralbank hatte den Satz im Verlauf der zweiten Jahreshälfte 2023 auf 16% mehr als verdoppelt, bis Ende 2024 stieg er weiter auf das aktuelle Rekordniveau von 21%.

Mehr Pleiten am Anleihenmarkt
Die Alfa-Bank zählt fünf vollständige Zahlungsausfälle auf, darunter der Moskauer Entwickler von Einkaufszentren Garant-Invest, auf den ein Großteil der insgesamt 17,2 Mrd. Rubel (184 Mio. Euro) an Ausfällen entfiel. Außerdem benennen die Analysten fünf technische bzw. vorübergehende Zahlungsausfälle, darunter auch der prominente Fall der staatlichen Technologie-Beteiligungsgesellschaft Rosnano.

Laut dem Informationsdienst Cbonds gab es Ende März 610 Unternehmen in Russland, die Anleihen ausgeben. In den Jahren 2018 bis 2024 hatte sich die Zahl der Pleiten zwischen 7 und 12 bewegt, bemerkt die Ratingagentur AKRA. 2025 rechnet sie mit 12 bis 18 vollständigen Ausfällen. Auch die Alfa-Bank spricht nicht von einer drohenden Pleitewelle, da keiner der bisherigen Fälle überraschend komme.

Regierungsberater warnen vor Pleitewelle
Warnungen vor einer Pleitewelle hat es angesichts der russischen Rekordzinsen immer wieder gegeben. Sogar das Moskauer Wirtschaftsforschungsinstitut ZMAKP stimmte in den Chor ein. Der Thinktank, der die russische Regierung berät, schrieb in seinem Bericht zur russischen Wirtschaft von Ende Januar von einem drohenden „Sprung bei den Unternehmenspleiten in großem Maßstab“. ZMAKP machte dies an zwei Beobachtungen fest:

Immer mehr Industrieunternehmen leiden unter einer erdrückenden Zinsbelastung. So dürfte sich der Umsatzanteil der gefährdeten Betriebe am Gesamtumsatz der Industrie im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt haben und Ende 2024 bei mehr als 20% liegen, schreiben die Analysten. Diese Schätzung beruht auf hochgerechneten Daten aus 2023, erklärte ZMAKP. Als gefährdet gelten Unternehmen, die mehr als zwei Drittel ihres Betriebsgewinns vor Zinsen und Steuern für den Schuldendienst aufwenden müssen.

Immer mehr Unternehmen berichten von ausbleibenden Zahlungen ihrer Geschäftspartner und Kunden. Eine Umfrage des Unternehmensverbands RSPP ergab, dass im 3. Quartal 2024 mehr als jedes dritte (37%) Unternehmen mit Zahlungsausfällen konfrontiert wurde. In den Jahren 2021 bis 2023 habe der Anteil durchschnittlich bei 20% bis 22% gelegen, erklärt ZMAKP, das die hohen Zinsen für diesen Anstieg verantwortlich macht. Statt Rechnungen zu bezahlen, würden Unternehmen ihre liquiden Mittel lieber auf den hoch verzinsten Festgeldkonten parken oder kurzfristige Anleihen kaufen, während ihre Verbindlichkeiten gegenüber den Geschäftspartnern immer größer würden.

Zentralbank: Anteil der Problemunternehmen steigt
Auf den ersten Blick deutet die Statistik der russischen Zentralbank bisher nicht auf eine Kreditkrise bei den Unternehmen hin. Das Volumen der überfälligen Kreditzahlungen lag zum 1. März bei 2,73 Bio. Rubel (29 Mrd. Euro) und damit nur 1,1% über dem Niveau des Vorjahresmonats. Bei einer Gesamtverschuldung von 75,75 Bio. Rubel (811 Mr. Euro) betrug der Anteil der ausgefallenen Zahlungen 3,6%.

Gleichzeitig sind offenbar kleinere Unternehmen zunehmend in Schwierigkeiten geraten. So ist der Anteil der säumigen Schuldner in den ersten beiden Monaten des Jahres stark von 17,9% auf 21,7% gestiegen. Das bedeutet, dass mehr als jedes fünfte Unternehmen mit seinen Kreditzahlungen in Verzug ist, wobei sich das in der Gesamtsumme der betroffenen Zahlungen, wie oben erwähnt, kaum niederschlägt. Eine solche Entwicklung zu Jahresbeginn ist allerdings nicht ungewöhnlich. Auch 2023 und 2024 hatte der Anteil der säumigen Unternehmen im Januar und Februar zugenommen, bevor er im März wieder sank. Die Zahlen für den März 2025 stehen noch aus.

Die Zentralbankstatistik belegt zudem, dass inzwischen fast zwei Drittel (63,1%) des gesamten Kreditvolumens variabel verzinst ist, wobei 55,9% direkt am Leitzins orientiert sind. Vor einem Jahr lagen die Anteile bei 45% bzw. 38%. Fast die Hälfte der neu ausgegebenen Unternehmenskredite wurden im Februar zu Zinsen von mehr als 24% ausgegeben. Sollte die Zentralbank in den nächsten Monaten nicht, wie erwartet, mit Zinssenkungen beginnen, dürfte sich die Lage der Unternehmen weiter verschärfen.

Insolvenzen auf Tiefststand
Trotz der hohen Zinsen bewegte sich die Zahl der Insolvenzen 2024 auf einem historisch niedrigen Niveau. Laut dem staatlichen Register Fedresurs wurden vor russischen Gerichten 8570 Konkursverfahren eröffnet. Das ist der geringste Wert seit 2011, als die Erhebung der Daten begann, meldete die Behörde. Eine Ausnahme war das Jahr 2023 mit 7395 Verfahren. Fedresurs erklärt diese Anomalie mit der Nachwirkung des Moratoriums für Insolvenzen im Jahr 2022. In den Jahren 2015 bis 2019 hatte es jeweils rund 13.000 Insolvenzen gegeben.

Zum Vergleich: In Deutschland gingen im vergangenen Jahr 21.812 Unternehmen in die Insolvenz, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Das war der zweite deutliche Anstieg in Folge, nach 17.814 Fällen 2023 und 14.590 Fällen im Jahr 2022. Anders als in Russland bestand die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in Deutschland nur im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie und lief im Frühjahr 2021 aus.

In Russland hat sich die Tendenz zu immer weniger Insolvenzen auch im 1. Quartal des 2025 fortgesetzt. 1629 eröffnete Insolvenzverfahren waren 22% weniger als im Vorjahreszeitraum. Fedresurs macht für die Entwicklung auch gestiegene Gerichtsgebühren verantwortlich. Die Parteien würden deshalb zunehmend eine außergerichtliche Einigung suchen. Ein weiterer Umstand, der aus Sicht der Gläubiger gegen einen Gang vor Gericht sprechen dürfte, ist die lange Dauer der Insolvenzverfahren. Im vergangenen Jahr betrug sie laut Fedresurs durchschnittlich 1179 Tage. 2015 waren es 567 Tage.

Quellen: Alfa-Bank, Russ. Zentralbank, Vedomosti 1, 2, ZMAKP, TASS, Fedresurs, (alle RU), Reuters (EN), Stat. Bundesamt

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