Fokusanalyse

Hoffnungsralley vor Präsidentengipfel

2025-08-14 08:47
Hintergrund

Im August erlebt das postsowjetische Russland einige seiner größten Krisen wie den Putsch 1991 und den Staatsbankrott 1998. Im laufenden Jahr entwickelt sich der Monat, zumindest in seiner ersten Hälfte, bisher positiv. So stieg der Leitindex der Moskauer Börse, IMOEX, in den ersten zwölf Tagen des „Schicksalsmonats“ um insgesamt 9% und durchbrach am 11. August erstmals seit Ende April die Marke von 3000 Punkten. Der wichtigste Grund dafür ist die Annäherung zwischen den USA und Russland, die morgen im ersten Besuch von Russlands Präsident Wladimir Putin in den USA seit zehn Jahren gipfelt.

Wende nach Sanktionssorgen

Seit Mitte Juli hat der IMOEX sogar insgesamt 13,7% zugelegt. Am Freitag, 11. Juli, hatte US-Präsident Donald Trump Russland mit Sanktionen gedroht und für den kommenden Montag eine bedeutende Stellungnahme angekündigt. Der IMOEX gab bis Montagmorgen um rund 4% auf 2616 Punkte nach. Als Trump dann keine neuen Sanktionen gegen Russland verkündete, sondern nur mit Zöllen gegen Russlands Handelspartner drohte und dem Kreml zudem noch eine Frist von 50 Tagen setzte, holte die Moskauer Börse ihre Verluste vom Wochenende wieder vollständig auf. Bis zum 23. Juli stieg der Index weiter auf 2841 Punkte, bis sich Meldungen aus den USA mehrten, wonach Trump nun endgültig „seine Geduld mit Putin verliere“, wie zahlreiche westliche Medien titelten. Tatsächlich verkürzte er seine Frist auf zehn Tage, also bis zum 8. August. Das ließ den IMOEX in den folgenden Tagen wieder auf beinahe 2700 Punkte fallen.

USA-Einladung statt Sanktionen

Die Wende brachte die Reise von Trumps Chefverhandler Steve Witkoff nach Moskau, wo er zu Beginn der vergangenen Woche Putin traf. Schließlich bestätigten beide Länder am 7. August, unmittelbar vor Ablauf von Trumps Zehn-Tage-Frist, Pläne zu einem Treffen ihrer Präsidenten. „Anstelle von Sanktionen kündigt Trump ein Gipfeltreffen mit Russland an“, titelte die Londoner Wirtschaftszeitung The Economist dazu.

Die russischen Aktien reagierten auf die Nachricht mit einem Anstieg des IMOEX um 4,4% am 7. August. Wie die Wirtschaftszeitung Kommersant anmerkt, war die Reaktion der Anleger damit verhaltener als im Februar nach dem ebenfalls überraschenden ersten Telefonat der beiden Präsidenten am 12. Februar. Damals machte die Moskauer Börse einen Freudensprung um rund 7%. Zehn Tage später erreichte der IMOEX seinen bis heute höchsten Stand des Jahres von 3371 Punkten. Die Telefonat-Rally führte also in der Spitze zu einem Kursanstieg um insgesamt 11,4%. Die Gipfeltreffen-Ralley bzw. die „Ralley der Hoffnungen“, wie die russische Investmentfirma Finam schreibt, ließ den IMOEX innerhalb von drei Börsentagen um insgesamt 8,5% auf zeitweise über 3000 Punkte steigen.

Gewinner und Verlierer

Der größte Gewinner unter den 49 IMOEX-Werten war in den vergangenen sieben Tagen der Stromproduzent Unipro. Gute Geschäftszahlen und die geopolitischen Hoffnungen haben den Aktienkurs der Russlandtochter des deutschen Versorgers Uniper um insgesamt mehr als 22% steigen lassen. Seit April 2023 steht Unipro unter staatlicher Verwaltung. Ein Jahr zuvor hatte Deutschland die russischen Energieunternehmen Gazprom Germania und Rosneft Deutschland unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt.

Gut entwickelt haben sich auch die Kurse der staatlichen russischen Fluggesellschaft Aeroflot und des größten privaten Erdgasproduzenten Novatek. Bei Aeroflot spielen Erwartungen auf eine Wiederaufnahme des Flugverkehrs zwischen Amerika und Russland eine Rolle, bei Novatek Hoffnungen auf eine mittelfristige Lockerung der Energiesanktionen gegen Russland. Beide Aktien legten binnen einer Woche um jeweils 18,8% und 17,5% zu.

In Deutschland stiegen insbesondere die Aktien von Unternehmen, die in der Vergangenheit eng mit Russland verbunden waren, stellte das Wochenmagazin WirtschaftsWoche fest. So bewegten sich die wöchentlichen Zuwächse von Siemens, Heidelberg Materials und BASF zwischen rund 6% und 7%. Die österreichische Raiffeisen Bank International (RBI) profitierte besonders stark von der Friedenshoffnung. Ihre Russlandtochter ist die größte ausländische Bank in Russland. Die RBI-Aktie gewann am 7. August fast 12% und in der Woche zum 12. August mehr als 22%. Zu den größten Verlierern unter den DAX-Werten gehört der Rüstungskonzern Rheinmetall. Seine Aktie stürzte von 1767 Euro am Mittwoch, 6. August, auf zeitweise unter 1500 Punkte am 11. August ab, büßte also mehr als 15% ein.

Faktor Zinssenkung

Die jüngsten Kursgewinne in Russland verdanken sich jedoch nicht nur Trump und der Hoffnung auf Frieden. Am 8. August meldete die Statistikbehörde Rosstat zum dritten Mal in Folge auf Wochenbasis sinkende Verbraucherpreise in Russland. Das bestärkt die Erwartung der Anleger, dass die russische Zentralbank ihren Leitzins entschiedener als bisher senkt. Der leitende Analyst der Investmentbank Alfa-Investiziji, Wassilij Karpunin, erwartet, dass sich der IMOEX in der zweiten Jahreshälfte auch ohne einen Durchbruch beim Präsidententreffen in Alaska über der Marke von 3000 Punkten hält. Dafür genüge schon, dass morgen der Status quo erhalten bleibe und es nicht zu einer geopolitischen Eskalation komme, so der Experte.
Quellen: Investing.com 1, 2, 3, 4, Kommersant, RBC 1, 2, 3, Smart-Lab (alle RU), Economist (EN), WirtschaftsWoche