Fokusanalyse

Industrieroboter: Russlands stockende Aufholjagd

Hintergrund

Lange Zeit setzte Russland auf importierte Robotertechnik zur Automatisierung seiner Industrie. Seit dem Technologie-Embargo sind neben Deutschland zahlreiche wichtige Lieferanten weggefallen und durch chinesische ersetzt worden. Allerdings ist der Wunsch nach mehr Eigenständigkeit groß: Der Staat hat ein ambitioniertes Maßnahmenpaket aufgelegt, dass Russland in die Top 25 der Roboter-Nationen hieven soll.

Eine Präsidialverordnung gibt bis 2030 exakt 194 Roboter pro 10.000 Beschäftigte vor, was über dem derzeitigen globalen Durchschnitt von 162 liegt. 2023 aber betrug die Roboterdichte in Russland lediglich 19 Roboter pro 10.000 Beschäftigte. Im internationalen Ranking des World Robotics Report 2024 befindet sich das Land mit Rang 43 derzeit im oberen Mittelfeld, weit hinter Ländern wie Südkorea (1012, Nr. 1), Singapur (770, Nr. 2), China (470 Roboter, Nr. 3), Deutschland (429, Nr. 4), Großbritannien (119, Nr. 23).

Um das gesetzte Ziel zu erreichen, müsste Russland die Zahl der Industrieroboter von 12.800 auf 123.000 erhöhen, rechnet das russische Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Kept vor, das frühere KPMG. Dies entspricht einer zehnfachen Steigerung und setzt eine jährliche Wachstumsrate von 38% voraus – ein enormer Kraftakt verglichen mit der bisherigen Wachstumsrate von 12,5%. Beim weltweiten Spitzenführer China beträgt dieser Wert 29%.

Großer Nachholbedarf

Dass Russland beim Robotereinsatz hinterherhinkt, verrät ein weiterer Blick in den World Robotics Report. Platz eins geht an China, wo insgesamt 1,76 Mio. Roboter in der Produktion eingesetzt werden. Platz zwei und Platz drei belegen Japan (435.000 Roboter) und die USA (382.000). Auf Platz vier und fünf folgen Südkorea (380.000) und Deutschland (270.000). Weit abgeschlagen findet sich Russland mit 13.000 Robotern, hinter Mexiko (56.000), Indien (45.000) und Thailand (40.000). Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2023. Nach Angaben der Branchenwebsite Robotunion.ru ist die Roboterzahl in Russland im vergangenen Jahr auf über 14.300 gestiegen.

Entscheidend für die Industrie-Robotisierung Russlands sind die staatlichen Fördermaßnahmen. Bis 2030 sollen laut dem Bundesprojekt „Entwicklung industrieller Robotertechnik und Automatisierung der Produktion“ 350 Mrd. Rubel, rund 3,8 Mrd. Euro, in die Robotisierung fließen. Allerdings sehe das angekündigte Projektbudget für die Jahre 2025-2027 nur 33 Mrd. Rubel vor, umgerechnet 357,6 Mio. Euro, geben die Kept-Analysten zu bedenken. Die Experten vermuten, dass der Großteil des Förderpakets erst in den Jahren 2028-2030 umgesetzt wird.

Umsetzung stockt trotz Förderung

In Russland wird die Robotisierung von drei Hauptakteuren vorangetrieben: Den Roboterherstellern, der Industrie als Nutzer und den Robotik-Systemintegratoren, die Roboter und dazugehörige Technologie in neue oder bereits bestehende Produktionsanlagen der Unternehmen installieren. Nach Angaben von Kept beträgt der durchschnittliche Preis für einen Roboter 3,25 Mio. Rubel, rund 35.220 Euro – das macht in der Regel nicht mehr als einen 50%igen Anteil an den Gesamtkosten eines Projekts aus.

Gerade Fachkräfte wie Automatisierungstechniker und Roboter-Installateure werden händeringend gesucht. Nach Angaben von Branchenvertretern bleiben 30% der Stellen unbesetzt. Die Gründe: unzureichende Ausbildung, niedrige Motivation und die Abwanderung von Personal in der IT-Branche. So kümmerten sich 2023 insgesamt 120 Roboter-Dienstleister um die Installierung von 1600 Industrierobotern. Doch zur Erreichung der staatlichen Zielmarke seien 42.800 installierte Roboter pro Jahr notwendig, mahnen Analysten.

Nach Branchen betrachtet kommen Industrieroboter in Russland am meisten in Pharmaunternehmen zum Einsatz (35%), gefolgt von der Lebensmittelproduktion (25%) sowie Automobilindustrie, Metallurgie und Maschinenbau, die gemeinsam auf etwas weniger als 20% kommen. Zunehmend auf den Roboter kommen die Logistik, Kunststoff- und Wiederverwertungsbetriebe sowie der E-Commerce mit seiner fortschreitenden Lagerhaltung-Automatisierung. Ein Paradebeispiel liefert der russische Lastwagenhersteller KAMAZ. Der Fahrzeugproduzent will bis zum Ende des Jahrzehnts seine Roboterzahl von 231 auf 923 steigern. Damit begegnet KAMAZ auch dem Arbeitskräftemangel, den das Unternehmen auf 4000 unbesetzte Stellen beziffert.

China ersetzt wichtige Lieferanten

Nach dem westlichen Roboter-Exportverbot ist Russland auf chinesische Lieferanten umgestiegen. Seit 2022 ist der Importanteil Chinas von 11,6% auf 57,6% gewachsen. Wichtig bleiben ebenso die Parallelimporte aus der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den GUS-Staaten. Zuvor war einer der wichtigsten ausländischen Lieferanten das deutsche Maschinenbauunternehmen Kuka, einer der weltweit führenden Industrieroboter-Anbieter und seit 2016 im Mehrheitsbesitz des chinesischen Midea-Konzerns. Zu relevanten Importeuren zählten auch die japanischen Roboterbauer Fanuc, Yaskawa, Omron und die Schweizer Konzerne ABB und Stäubli. Im Zeitraum von 2019 bis 2024 führte Russland im Schnitt jährlich 1400 Industrieroboter ein.

Inlandsnachfrage überschaubar

Angesichts großer Importabhängigkeit in der Vergangenheit ist das Land um mehr Eigenproduktion bemüht. Nach Angaben des russischen Industrie- und Handelsministeriums steigerte Russland die Roboter-Herstellung im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr von 250 auf 600 Einheiten. 2019 lag die Stückzahl noch bei 50 hergestellten Robotern. Trotz steigender Eigenproduktion werden Schlüsselkomponenten für Industrieroboter größtenteils importiert. Die Lokalisierungsrate lag im vergangenen Jahr bei lediglich 35-40%.

Nach Angaben von Analysten stellen nur zwei Unternehmen in Russland mehr als 200 Industrieroboter jährlich her. Bei den restlichen beträgt die Produktionsspanne 26 bis 100 Einheiten. Dabei zeigen von Kept befragte Hersteller die Bereitschaft, die Produktion erheblich hochzufahren, beklagen jedoch eine schwache Nachfrage vonseiten russischer Unternehmen.

Roboter-Nation Deutschland

Beim Einsatz von Industrierobotern hat sich Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten einen Spitzenplatz erkämpft. Zwar liegen keine genauen Exportzahlen zu deutschen Robotern vor, doch gilt Deutschland neben Japan, den USA und China als größter Roboteranbieter weltweit. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 35.000 Industrieroboter produziert und 28.355 installiert. Die Automobilindustrie kam 2023 auf insgesamt 9000 installierte Einheiten, ein Marktanteil von 32%. In der metallverarbeitenden Industrie wurden rund 4900 Einheiten installiert, ein Plus von 16% gegenüber dem Vorjahr.

Quellen: World Robotics Report 2024 (EN), RBC, Delovoy Profil, Kommersant (alle RU), IRF