Die Bewertungen zur Wirtschaftslage gingen in der russischen Machtelite beim Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok weit auseinander. Präsident Wladimir Putin und German Gref, Chef der Sberbank und früherer Wirtschaftsminister, waren die Protagonisten in der Debatte über die Höhe des Leitzinses. Gref, Chef des größten Finanzhauses, machte den hohen Leitzins von derzeit 18% für die sich verschlechternde Wirtschaftslage verantwortlich und sprach von einer „technischen Stagnation“ nach zwei Quartalen Minuswachstum.
Gref hält eine weitere Senkung des Leitzinses auf 12% für erforderlich, damit die russische Wirtschaft wieder stärker wächst. Von Oktober 2024 bis Juni 2025 hatte der Leitzins sogar bei 21% gelegen. Angesichts hoher Kreditschulden der Unternehmen sieht der Bankchef die Rückkehr zur einer aktiven Investitionsphase noch in weiter Ferne. Real rechnet Gref mit einer Senkung auf 14% bis Jahresende. Zu den Befürwortern der Leitzinssenkung gehört auch Alexander Schochin, Präsident des Unternehmerverbandes RSPP. Er hält eine Senkung des Leitzinses auf 16% noch in diesem Jahr für notwendig.
Der russische Präsident räumte ein, dass einige Regierungsmitglieder Grefs Einschätzung zur russischen Wirtschaftslage teilen, verteidigte aber die Politik der Zentralbank als „gut überlegt“. Wladimir Putin führte aus: „Wir müssen die makroökonomischen Herausforderungen angehen und eine sanfte, reibungslose Landung der Wirtschaft sicherstellen, um die wichtigsten makroökonomische Indikatoren zu stabilisieren und das Inflationstempo zu verlangsamen.“
Dass sich die russische Wirtschaft schneller abkühlt als erwartet, stellte auch Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow fest. Die Wachstumsprognose der Regierung werde in Kürze nach unten korrigiert, sagte der Minister. Das Wirtschaftsministerium ging in der Prognose vom April noch von einem BIP-Wachstum von 2,5% und einer Inflationsrate von 7,6% für 2025 aus. Derzeit liegt die Inflation bei mehr als 8%.
Putin zur Rückkehr westlicher Firmen
Bei der Plenarsitzung des am Sonntag zu Ende gegangenen Wirtschaftsforums bekräftigte Staatschef Putin Russlands Bereitschaft mit rückkehrwilligen ausländischen Unternehmen zusammenzuarbeiten. „Wir haben niemandem den Rücken gekehrt. Wer will, kann gerne zurückkommen, muss dabei aber auch die aktuellen Bedingungen berücksichtigen“, erklärte der Präsident.
Konkreter zu den Rückkehrbedingungen äußerte sich Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Westlichen Unternehmen, die den russischen Markt „ohne Anstand“ geräumt und alles hingeschmissen hätten, werde der Rückzug teuer zu stehen kommen, sagte der Pressesprecher am Rande des Wirtschaftsforums. Einen vorsichtigen und respektvollen Dialog hingegen werde Moskau mit Firmen führen, die den russischen Markt regelkonform verlassen und sich eine Rückkaufoption gesichert hätten, fügte Peskow hinzu.
Japan und Südkorea in den Startlöchern?
Führende Automobilkonzerne aus Japan und Südkorea, zu den die Autobauer Toyota, Mazda, Hyundai, Kia gehören, haben sich zwar aus Russland zurückgezogen. Doch laut Branchenkennern halten die Firmen an ihren Rückkaufoptionen in Russland fest. Auch der Kontakt zu ehemaligen Vertriebsunternehmen in Russland wurde nicht abgebrochen. So bieten die genannten Automarken einen Nachverkauf-Service für vor 2022 erworbene Fahrzeuge an.
Russische Medien berichteten etwa im Frühling dieses Jahres, dass Hyundai eine Rückkehr nach Russland erwäge. 2023 verkaufte Hyundai sein Werk in Sankt Petersburg mit einer zweijährigen Rückkaufoption. Seitdem Rückzug hat das Unternehmen mindestens vier Marken in Russland registrieren lassen. Seit Kurzem kursieren auch Gerüchte über eine Rückkehr des japanischen Modehandelsriesen Uniqlo, der 2023 den russischen Markt verlassen hat.
Noch vor einigen Jahren zählten Japan und Südkorea zu den führenden Handelspartnern Russlands. Das bilaterale Handelsvolumen von Russland und Japan betrug im Jahr 2013 35 Mrd. US-Dollar. Südkoreas Handel mit Russland erreichte im gleichen Jahr ein Volumen von 23 Mrd. US-Dollar und 2021 ihr historisches Maximum mit 27 Mrd. Dollar. Im vergangenen Jahr ist das bilaterale Handelsvolumen zwischen Russland und seinen asiatischen Handelspartnern drastisch eingebrochen. Der russisch-japanische Warenaustausch betrug 7,5 Mrd. Dollar, ein Rückgang von 22% zum Vorjahr. Mit Südkorea lag das Handelsvolumen bei 11 Mrd. Dollar, ein Minus von 24%.
Sollten die Vereinigten Staaten ihre Sanktionen gegen Russland lockern, so hätten Tokio und Seoul einen Freifahrschein, diesem Beispiel zu folgen, schreibt der Politikwissenschaftler Andrei Kortunow. Denn anders als Europas Eliten betrachteten beide Länder Russland nicht als existenzielle Bedrohung, so Kortunow. Deshalb stünden sowohl Politiker, Beamte und Unternehmer in Tokio und Seoul bereits „in den Startlöchern“ für eine Rückkehr.